Brianna
Ihr Auftritt im Dorf hätte wesentlich turbulenter und mit mehr und neugierigeren Blicken stattfinden können - wobei man viel neugieriger aussehen als der Junge und seine Schwester wohl gar nicht konnte. Aber glücklicherweise trat dieser Fall zumindest jetzt noch nicht ein. Brianna wäre es noch egal gewesen, wäre sie allein unterwegs, doch sie war unsicher, wie es Rhiann dabei gehen würde, wenn plötzlich alle Leute angelaufen kämen, um sie zu begrüßen. Oder wenn mehr Leute im Dorf unterwegs gewesen wären und sie beobachtet hätten.
Andererseits: Es war ein kleines Dorf und Fremde waren hier ... nun, nicht ganz
fremd und nicht so ungewöhnlich, dass gleich ein Kreuz im Kalender und ein großes Spektakel veranstaltet werden mussten, wenn doch mal jemand auftauchte.
Sie ritten weiter und folgten den beiden Kindern, die ganz genau wussten, wohin es ging. Weit war es auch gar nicht. Es ging nur bis zum Ende der Straße und dann nach links, wo sich das Haus der Familie befand. Es war etwas größer, sodass entweder die Familie größer sein musste oder eben Gästeunterkünfte angeboten wurden. Oder beides. Halb war das Grundstück umzäunt, aber nur, um die Beete dahinter zu schützen, denn wo nur das auch hier immer noch etwas karge und deshalb nicht ganz so sattgrüne Gras wuchs oder die Erde plattgetreten war, konnte man das Grundstück einfach überqueren. Von diesem Teil war auch das Rufen von anderen Kindern zu hören, und dann mischte sich auch eine Frauenstimme darunter.
"Besuuuuch!", rief der Junge und zog seine Schwester schnell hinter sich her, sodass sie am Zaun stehenbleiben und winken können. "Wir haben auch Gäste mitgebracht, guckt mal!"
Als auch Brianna und Rhiann am Haus vorbei waren und der daran angrenzende Gartenbereich nicht mehr davon bedeckt wurde, tat sich eine Art Wiese hinter den Beeten auf. Auch hier wurde gerade Wäsche aufgehängt von einer Frau Ende dreißig bis Ende vierzig, die recht zierlich und eher klein war. Sie hatte sonnengegerbte Haut und von der Sonne etwas ausgeblichen wirkendes hellbraunes Haar, das sie zu einem Zopf geflochten hatte. Ein Lächeln breitete sich auf ihren Lippen aus, als sie Brianna entdeckte. Auf der Wiese spielten ein paar Kinder unterschiedlicher Altersstufen. Zwei schienen ungefähr so alt wie das Mädchen und sein großer Bruder, aber es war noch ein Jugendlicher dabei und ein Mädchen, das vermutlich an der Schwelle zum Erwachsenenalter stand. Ein weiteres eher kleines Kind fischte gerade einen Lederball zwischen den Büschen auf dem Grundstück hervor.
Die beiden Kinder, die Brianna und Rhiann begleitet hatten, liefen hinüber und die kleine Schar versammelte sich etwas zurückhaltend, während die Frau ein Laken losließ, das sie gerade über die Leine geworfen hatte, sich die Hände etwas abstrich oder ihren Rock ordnete und dann herüberkam.
"Hallo Brianna", sagte sie munter, "das ist unerwartet. Und wie ich sehe, hast du ein neues Gesicht mitgebracht. Ich bin Tia." Sie nickte Rhiann freundlich zu. Ihr Blick streifte danach neugierig, aber zurückhaltend höflich ihre Flügel und Nayol.
"Ja, es ist eher ein spontaner Besuch", gab Brianna mit einem Gruß zurück.
"Wir reisen gemeinsam." Es lag an keiner Unhöflichkeit, dass sie Rhiann nicht direkt vorstellte, denn sie wollte ihr die Entscheidung selbst überlassen, ob sie sich mit ihrem richtigen Namen vorstellte oder nicht. Wahrscheinlich spielte es jedoch keine große Rolle, denn falls jemand hinterher hier nach ihr fragte, waren an ihr die Flügel das Auffälligste, das jedem im Gedächtnis blieb und sie deshalb sofort verraten würde. Man könnte die Erwachsenen darum bitten, nichts zu verraten - mit Kindern war das schwierig, vor allem, weil sie sicher nicht häufig oder nie andere Zweibeiner mit libellenartigen Flügeln hier sahen.
"Würde es Ren und dir etwas ausmachen, wenn wir bei euch übernachten?", fragte sie, nachdem sie Rhiann und Tia Gelegenheit gegeben hatte, Begrüßungen auszutauschen.
Tia winkte lächelnd ab. "Selbstverständlich ist das in Ordnung. Du weißt, dass du bei uns immer willkommen bist."