Vulkangegend und kahle Felsen

Brianna fand es schwierig, sich vorzustellen, wie es wohl für Rhiann - oder sonst irgendjemanden, der sein bisheriges Leben nur in einer kleineren Gemeinschaft weit ab der Zivilisation, wie man sie kannte, verbracht hatte - sein musste oder sein würde, zum ersten Mal nach Nevo zu kommen. Sie war in beiden Welten aufgewachsen, in der Stadt und in der Wildnis bei den Feuerfeen, deshalb war für sie beides seit jeher eine Selbstverständlichkeit. Sie war gut darin, sich in andere hineinzuversetzen. Fast so gut, wie sich in sie hineinzufühlen. Doch dies hier würde wohl eine andere Hausnummer sein, da sie es nicht anders kannte und schon alles gesehen hatte.
Nun ja, so wollte man wenigstens sagen.
Bei Rhianns Frage schwieg sie kurz und überlegte, wobei sie ihrem Rücken und der Jacke, unter der sich ihre Feenflügel versteckten, einen Blick zuwarf. "Es gibt nicht nur Menschen in Nevo. Spitze Ohren, Schlitzpupillen und Schuppenhaut fallen nicht auf. Ich habe sogar schon ein paar Drachenartige mit Hörnern auf dem Kopf gesehen. Aber ... Flügel sind schon eher selten... Trotzdem denke ich, dass du nicht mehr aus der Menge herausstechen wirst als andere Geschöpfe, denen man ansehen kann, dass sie nicht menschlichen Blutes sind. Wenn du kein Feuerwesen wärst, würdest du vielleicht sogar mehr auffallen..." Ihre Stirn legte sich bei diesen Worten in kleine Falten, die verrieten, dass sie kein positives Auffallen meinte. Nicht jeder Karon hielt sich und das eigene Volk für das Beste vom Besten, aber es war einfach ein Fakt, das Mitglieder anderer Völker auf Kjubika am wenigsten gerngesehen waren. Es war etwas anderes als das Für-sich-Bleiben der Manoah. Oder der Feuerfeen.
"Würde es dir sorgen machen, wenn du in Nevo auffällst?", fragte sie Rhiann und verlangsamte ihre Schritte etwas.

Brianna hatte ja bereits gesagt, dass nicht nur Menschen in Nevo lebten, doch da ich nicht wusste, was sonst alles für Wesen es waren und wie die Bevölkerung insgesamt aussah oder auch gestrickt war, fiel es mir schwer, mir vorzustellen, wie es werden würde. Vielleicht auch, weil ich immer nur unter meinesgleichen gelebt hatte und bei uns Fremde eben sehr wohl herausstachen.
Auch jetzt klang die Bevölkerung von Nevo ziemlich bunt und durchgemischt und Brianna war der Meinung, dass ich nicht besonders herausstechen würde. Es war trotzdem schwer, es mir vorzustellen.
Und dann waren da noch die anderen Nationen, die sie ansprach... Ich wusste natürlich, dass es auch die anderen Elementarvölker gab, doch getroffen hatte ich noch nie einen von ihnen und auch ihre Fähigkeiten natürlich noch nie gesehen. Doch diese ganze Vorstellung war für mich sogar noch weiter weg als eine Stadt wie Nevo und andere Wesen.
Und zeigte mir erneut, dass die Welt sehr viel größer war als ich bisher erlebt hatte.
"Nein", antwortete ich nach kurzem Überlegen auf Briannas Frage hin, den Blick immer noch nachdenklich nach vorne gerichtet. Da sie langsamer wurde, tat ich es ihr kurz darauf gleich und fügte nach einer kurzen Pause auch ehrlicherweise hinzu: "Ich denke nicht."
Ich war zuhause schließlich die Tochter des Häuptlings. Wir waren nur ein kleiner Stamm und es war längst nicht so streng wie in manch anderen, aber natürlich fiel ich auf, allein durch die, die ich war. Erst recht wenn wir einen Besuch bei einem anderen Stamm unternahmen, wo ich auch seit einigen Jahren vermehrt mitgenommen wurde. Es waren nicht die Blicke, um die ich mir Gedanken machte. Oder?
"Aber wenn mein Vater nach mir suchen lässt, ist Nevo wahrscheinlich das naheliegendste... oder?", sagte ich nach ein paar weiteren Momenten und wandte mich nun auch wieder Brianna zu und sah sie an. Eins der Dinge, bei denen ich mir sehr sicher war, war dass ich nicht zurückgeholt werden wollte. Ich wollte untertauchen.

Nur einen Wimpernschlag lang blieb Brianna ganz stehen, als Rhiann ihre Frage beantwortete, und ging dann weiter, ihre Schritte muteten dabei fast etwas besonnen und gemächlich an. Sie ließ den Blick schweifen und erwiderte erneut nicht sofort etwas auf ihre anschließenden Worte hin.
Dann seufzte sie und senkte den Kopf, sodass ihr Augenmerk kurz den Weg entlang huschte. "Ja, das denke ich auch... Nicht nur das. Es könnte sein, dass man dich bei mir suchen lässt. Oder sich vielmehr bei mir darüber erkundigt, ob ich bei der Suche helfen kann oder du bei mir warst. Ich bin eine Weile nach dir aufgebrochen. Es ist nicht abwegig, dass dein Vater auf die Idee kommen könnte, dass ich dich aufgegabelt habe..."
Dafür kannte man sie zu Hause wohl doch zu gut. Dort wusste man, dass es Brianna nicht egal war, wenn jemand verloren ging, dass sie den Leuten aber auch gerne ihre freie Entscheidung ließ und sie ungerne zu etwas zwang. Das über sie herauszufinden, war nicht allzu schwer, wenn man sie kannte. Sie seufzte erneut.
"Aber wir haben ein paar Tage Vorsprung und ich weiß, wie ich dich verstecken kann. Darüber solltest du dir also nicht zu viele Sorgen machen. Du wirst genug Zeit in Nevo haben, um dich dafür zu entscheiden, was du von dort ausgehend machen möchtest." Sie wandte sich beim Gehen etwas mehr zu Rhiann und lächelte.

Tatsächlich hatte ich noch nicht daran gedacht, dass mein Vater auch Brianna in seine Suche mit einbeziehen könnte, oder bei ihr anfangen würde. Ich hatte ja auch alles getan, möglichst nicht zu viel zu denken... Aber ja, sie hatte Recht. Es war vollkommen logisch. Sie wäre die erste Anlaufstelle.
Ich hatte dabei den Blick gesenkt und ging langsam weiter, während ich nachdenklich den Boden vor mir musterte. Vielleicht war es keine gute Idee, mit Brianna zu gehen oder bei ihr zu bleiben. Sie lieferte mich vielleicht nicht aus, aber ja, sicher würde mein Vater bei ihr anfangen.
Es war nicht so, dass ich ihr nicht vertraute, aber... Aber...
Sie hatte meine Schwester auch nicht gerettet. Warum sollte sie dann mich retten?
Und ja, ich wusste sehr wohl, dass dieser Gedanke dumm war und vielleicht nicht logisch, aber er kam trotzdem. Vielleicht weil eben noch nicht alles in Ordnung war zwischen uns. Ich wusste auch nicht, ob es das wieder sein konnte.
Brianna jedenfalls versicherte mir natürlich, dass ich mir keine Sorgen machen musste. Sie würde sich schon darum kümmern. Sie wusste ja immer einen Weg...
Nur nicht, wenn es wirklich darauf ankam...
Ich antwortete nicht sofort, sondern bemühte mich zuerst, meine Emotionen wieder in den Griff zu bekommen und herunter zu schlucken. Erst als ich mich wieder ruhig fühlte, blickte ich auf und sah Brianna an.
"Warum hilfst du mir?", fragte ich sie. Ja natürlich, sie konnte mich nicht einfach in der Einöde verdursten lassen, und mich einfach mir selbst überlassen auch nicht, das war schon klar. Das meinte ich nicht. Aber mich vor meinem Vater zu verstecken, vielleicht lügen oder sonstwas damit man mich nicht fand, das ging noch viel weiter als mich nur vor Schaden zu bewahren. Und darüber würde mein Vater sicher nicht erfreut sein.

Es blieb eine kleine Weile lang still, nachdem sie geendet hatte. Trotzdem warf sie Rhiann nach einem Moment nur einen kurzen Blick zu und schaute ansonsten nach vorn oder etwas über die Umgebung. Ihr Augenmerk glitt an einem Dachbalken entlang. Sie konnte den Anflug eines Gefühls von Rhiann auffangen, das nicht besonders positiv war, doch sie überging es, denn auch Rhiann tat dies. Nur langsam wanderte es schließlich zu ihr zurück, und diesmal war sie diejenige, die nicht sofort auf ihre Frage antwortete.
Es gab mehrere Gründe dafür, warum sie ihr half. Und der wichtigste war sicher nicht ihr schlechtes Gewissen oder ihr Schuldgefühl. Dafür war sie zu selbstbewusst und ihr Geist war zu gesetzt, um etwas rein aus einem schlechten Gefühl heraus zu tun, welches bei genauem Nachdenken nicht einmal vollkommen gerechtfertigt war.
"Warum sollte ich dir nicht helfen?", gab sie schließlich zurück und drehte den Kopf, sodass sie sie besser ansehen konnte. Ehe sie fortfuhr, wanderte ihr Blick jedoch wieder nach vorn. "Du bist alt genug, um eigene Entscheidungen zu treffen, und du hast dich dafür entschieden, deine Heimat zu verlassen." Sie wählte den Begriff "fliehen" ganz bewusst nicht. "Warum sollte ich dich nicht dabei unterstützen und dir die Möglichkeit geben, dich mit deiner Entscheidung besser zurechtfinden zu können, sondern dich zur Umkehr bewegen?" So jemand war sie nicht. Natürlich wusste sie, dass Rhianns Vater sicher gute Gründe hatte, Rhiann zurückzuholen, aber Rhiann war eine selbständig denkende und fühlende Person, die das Recht darauf hatte, ihren Wünschen oder Drängen zu folgen. Solange Brianna nicht glaubte oder wusste, dass sie sich damit selbst schadete, gab es keinen Grund für sie, sie zurückzuschleifen. Außerdem hoffte sie, dass Rhianns Entscheidung ihr dabei helfen würde, mit ihrer Trauer umzugehen oder sie zu einem Stück sogar zu bewältigen.

Auch wenn Brianna mir nicht sofort richtig antwortete, war ich mir ziemlich sicher, dass sie schon verstanden hatte, wie ich die Frage meinte. Ich schwieg und wartete ab, hörte Brianna dann still zu und wandte schließlich ebenfalls den Blick wieder nach vorne.
Möglicherweise hatte sie mit ihrer Einstellung tatsächlich mehr Vertrauen in meine Fähigkeiten als meine Familie, aber vor allem war es bei uns eben einfach so üblich, dass mein Vater das Sagen hatte. Und es war mir auch wirklich schwergefallen, zu gehen. Nicht nur, weil ich damit alles hinter mir ließ, was ich kannte, sondern auch, weil ich damit sozusagen aus der Kultur ausbrach und mich gegen meine Eltern stellte. Ich wusste, ich sollte das nicht tun.
"Du weißt, dass Vater verärgert sein wird", sagte ich leise. "Auf mich sowieso. Aber auch auf dich, wenn du mir hilfst."
Natürlich wusste ich, dass Vater nichts davon aus böser Absicht tat. Ganz im Gegenteil. Er war mein Vater und er liebte mich - es schmerzte, daran zu denken. Er wollte nur das beste für mich. Und ich wusste ja selbst nicht, was das beste für mich war...
Ich war so durcheinander... Und ja, wieder einmal irgendwie auch dankbar, dass wenigstens Brianna da war. Ich war es nicht gewohnt, ganz allein zu sein und alles alleine zu entscheiden. Vielleicht war mein Aufbruch wirklich überstürzt und dumm gewesen.
Ich vermisste meine Familie so sehr...
Aber trotzdem trieb mich etwas fort. Ich wollte nicht zurück.
Ich atmete langsam durch und schluckte meine Empfindungen herunter.

Brianna zuckte erst nur die Schultern, seufzte dann jedoch, da sie nicht leichtfertig auf Rhiann wirken wollte und auch nicht leichtfertig damit umging, dass sie das Stammesoberhaupt möglicherweise belügen oder gegen seine Entscheidungen gehen musste.
"Ich denke anders über diese Sache als er. Ich möchte ihn nicht kränken oder meine Familie verärgern. Aber er kennt mich, so wie die anderen auch. Ich tue Dinge auf meine Weise."
Sie blieb kurz stehen und musterte Rhiann etwas eingehender, um ihren Standpunkt klarzumachen. Dann zeigte sich ein verschmitztes Lächeln auf ihren Lippen. "Machst du dir etwa Sorgen um mich?", fragte sie neckend und lehnte den Kopf zur Schulter, wobei sie nun auch weiterging und dabei etwas näher zu Rhiann rückte. Freilich ärgerte sie sie nur, aber das war nicht alles.
"Keine Angst. Ich weiß schon, worauf ich mich vielleicht einlassen muss." Ihr Lächeln wurde sachter und auch etwas ernster, ihr Tonfall wieder weicher. Sie bog an der Weggabelung ab, sodass sie nun wieder auf der Straße waren, die sie zurück zu Tias und Rens Haus führen würde. Weit war es nicht. Wie gesagt, das Dorf war klein... Schon innerhalb eines Tages konnte man hier alles gesehen haben, wenn man wollte. Und doch gab es auch immer wieder etwas zu entdecken, das einem vorher entgangen war. Egal, wie oft man hierher kam.

Für Brianna schien das alles längst nicht so schwer zu wiegen, wie für mich. Und wahrscheinlich lag es wirklich daran, dass wir alle wussten, dass sie eben Dinge anders machte und anders sah, da hatte sie Recht. Sie war längst aus unseren Traditionen ausgebrochen, oder besser gesagt, war nie so tief drin gewesen wie ich es war, die nichts anderes kannte.
Für sie muss es sehr viel einfacher sein, damit klarzukommen, dass sie Vater verärgern könnte, dachte ich. Und ertappte mich dabei, wie ich mir ein wenig von ihrer Leichtigkeit für mich wünschte. Es würde die Dinge jedenfalls sehr viel einfacher machen. Wenn ich mehr wie meine Schwester wäre... Sie war auch so.
Ich tat es Brianna gleich, als sie stehen blieb, und hob nun auch ein wenig zögernd den Blick in ihr Gesicht. Ein klein wenig zog ich die Augenbrauen hoch bei ihrer neckischen Frage, wie zu einem 'Ernsthaft?', doch mein einer Mundwinkel war tatsächlich eher leicht gehoben. Eine Antwort sparte ich mir.
Stattdessen setzte auch ich unseren Weg wieder fort und dachte über das nach, was Brianna gesagt hatte und welche Einstellung sie hatte. "Na schön", sagte ich dabei leise, halb in Gedanken. Im Grunde war es die Diskussion, die ich schon seit langem mit Ela begonnen hatte. Auch sie sah das alles nicht so eng. Sie machte sich nicht viel draus, wenn sie Ärger bekam, so lange es sich gelohnt hatte. Sie und Brianna waren sich gar nicht so unähnlich in diesem Punkt. Für mich war das sehr viel schwieriger... Aber nicht zum ersten Mal wünschte ich mir, mehr wie meine Schwester zu sein. Das hier war ihre Reise und nicht meine.
Ich atmete langsam durch und hob den Blick nach vorne. Etwas hinderte mich daran, meine Gedanken mit Brianna zu teilen, wohl weil sie eine Schwäche von mir offenbaren würden, und auch weil damit das Thema zu nah an Ela herankommen würde. Mit ihr hätte ich sie geteilt. Wie machst du das? Wie kann ich mehr sein wie du?

Es belustigte Brianna ein wenig, wie Rhiann mit einem skeptischen Gesichtsausdruck und einem leicht gehobenen Mundwinkel auf ihre Worte reagierte. Ihr Lächeln wurde milder, bevor es weiterging und sie der jungen Frau versichert hatte, dass sie schon wusste, worauf sie sich einließ.
Und tatsächlich lenkte sie ein. Auch wenn Brianna nicht direkt davon ausgegangen war, dass Rhiann hier lang und breit protestieren würde. Sie konnte es ohnehin nicht ändern, vielleicht wusste sie das, und vielleicht war es ihr ja auch irgendwie egal, dass sie sich für sie möglicherweise selbst in Schwierigkeiten begab. Allerdings dachte sie nicht, Rhiann könnte der Meinung sein, dass es ihr recht geschähe. Was nicht bedeutete, dass sie es nicht verstehen könnte.
"Und, bist du mittlerweile schlauer, ob du noch bleiben oder bald aufbrechen möchtest?", fragte sie, als sie das Haus fast erreicht hatten. Noch war der Tag nicht zu weit vorangeschritten. Es blieben noch zwei oder drei Stunden, bis es besser wäre, sich auf den Weg zu machen, wenn sie am späten Abend und nicht nach Mitternacht Nevo erreichen oder doch noch mal in der Wildnis rasten wollten. Brianna fühlte sich ausgeruht und Nayol und Katarrah ging es gut, sodass sie mit beiden Entscheidungen leben konnte. Auch Rhiann machte den Eindruck auf sie, als hätte sie den Schlaf in einem Bett hier gut genießen und sich ausruhen können. Auch wenn es sicher etwas länger dauerte, nach so einer anstrengenden Reise durch die Wildnis wieder richtig zur Ruhe zu kommen und volle Kraft zu tanken. Und dann waren da noch ihre Gedanken...

Wir hatten uns während der letzten Minuten zurück zu dem Haus begeben, in dem wir Unterkunft gefunden hatten, und waren nun auch fast wieder dort angekommen, als Brianna die erneute Stille zwischen uns wieder mit einer Frage brach. Natürlich hatte ich mir auch Gedanken um dieses Thema gemacht, ohne wirklich zu einer zweifelsfreien Antwort zu kommen. Aber ich war mir bewusst, dass ich im Augenblick ohnehin voller Zweifel war und mir bei gar nichts mehr sicher war. Kein angenehmes Gefühl.
Ich nickte langsam, vermutlich hauptsächlich, um die Frage nicht zu verneinen, weil mir das irgendwie dumm vorkam. Aber auch wenn ich meine Zweifel und Unsicherheiten hatte, jetzt wo ich mit der Frage konfrontiert war, entschied ich mich. Oder... eigentlich hatte ich mich wohl schon entschieden, doch jetzt wo ich es aussprach, legte ich es auch wirklich fest.
"Ich denke, es wird Zeit, nach Nevo aufzubrechen", sagte ich entschieden und sah Brianna an. Es sprach nichts dagegen, außer ich selbst. Wir hatten genug darüber geredet, jetzt wurde es Zeit, es auch in Angriff zu nehmen. Es gab keinen Grund mehr, hier herumzulungern. So freundlich unsere Gastgeber auch waren. Aber ich hatte das Gefühl, dass ich mich jetzt dem nächsten Teil der Reise stellen musste. Oder vielleicht einfach weiter von dem weglaufen, was hinter mir lag, und endlich woanders ankommen. So unsicher ich auch über die Zukunft war, stehenzubleiben war fast genauso unerträglich.

Rhianns Nicken war noch ein wenig zögerlich oder zumindest langsam. Ihre weiterführende Antwort auf die eigentliche Frage hinter der Frage war dann aber sehr entschieden. Sie wollte aufbrechen.
Brianna hatte sich das fast schon gedacht, auch wenn sie nicht sicher war, ob es für Rhiann die gleichen Gründe gab wie für sie, lieber früher als später aufzubrechen. Der Vorsprung vor den Stammesmitgliedern, die eventuell längst auf der Suche nach ihr waren, schrumpfte mit jeder Stunde. Das Dorf war schön und gut und versprach eine angenehme Pause, aber es war kein Ort zum Verweilen. Wäre Brianna allein unterwegs, wäre sie länger geblieben, um den Bewohnern noch ein wenig zur Hand zu gehen, doch mit Rhiann war sie bereit dazu, aufzubrechen, und es war ihr für Rhiann auch lieber.
Trotzdem hatte sie die Entscheidung ihr überlassen wollen.
Sie lächelte. "Gut. Dann lass uns wieder reingehen und die Sachen zusammenpacken. Tia sollte irgendwo im oder ums Haus herum sein." Sich so bald wieder zu verabschieden, war kein Problem. Tia war ihnen für die Hilfe dankbar und würde nicht mehr von ihnen verlangen. Brianna hatte sie bereits am Frühstückstisch darüber informiert, dass sie vielleicht im Laufe des Tages abreisen würden, somit käme die Information für sie auch nicht überraschend.
Sie öffnete das kleine Tor, das zur Haupttür des Hauses führte, ging mit Rhiann jedoch durch den Garten, um zu schauen, ob die Frau sich dort aufhielt. Tia war nicht zu sehen, aber die Terrassentür nur angelehnt, sodass sie auch von hinten zurück ins Haus gehen konnten.

Auch wenn ich Briannas Lächeln diesmal nicht erwiderte, war ich irgendwie auch froh, immerhin zu einer Entscheidung gekommen zu sein und einen Plan zu haben, wie es jetzt weiterging - auch wenn der erstmal nur aus der Richtung der Reise und dem Zeitpunkt des Aufbruchs bestand. Das war für mich erst einmal genug.
"Ja", antwortete ich und nickte, ehe ich Brianna durch das Tor und anschließend ums Haus herum folgte. Unsere Wäsche war nirgends mehr zu sehen, Tia musste sie wohl schon eingesammelt haben. Es war ja auch warm genug hier, dass alles auch über Nacht gut trocknen konnte. Nayol war ausgeruht und von Katarrah konnte man sicher das gleiche sagen, also sprach wirklich nichts dagegen, bald aufzubrechen.
Tia selbst war nicht zu sehen, aber wahrscheinlich war sie irgendwo mit ihrer eigenen Arbeit beschäftigt und wir würden sie schon finden. Ich ließ Brianna den Vortritt, um zurück ins Haus zu gehen, und ihr dann zu folgen. Viel zu packen hatte ich ja nicht, das meiste war alles das was gewaschen worden war, und ich musste noch Tias Kleidung gegen meine eigene austauschen und sie ihr zurückgeben. Ziemlich überschaubar.

“Tia?“, rief Brianna leise, als sie ins Haus gegangen waren. Auch ihr war aufgefallen, dass die Wäsche nicht mehr auf den Leinen hing. Tia musste sie schon hereingeholt haben, um sie zusammenzulegen. Und tatsächlich war sie gerade im hinteren Teil des Wohnraums damit beschäftigt, die Kleidung zu sortieren. Ein Stapel war schon fertig und lag auf einem mit Schafsfell bedeckten Hocker.
„Hier“, sagte sie und winkte den beiden zu. Der Wohnraum schloss sich direkt an die Küche an und befand sich auf der anderen Seite des Ofens, sodass auch dort geheizt werden konnte. Es gab eine Art Sofa, zwei Hocker und auch einen kleinen Sessel. Durch Decken und Tierfelle hatte man es hier auch in den kälteren Zeiten angenehm. „Ich habe eure Wäsche schon mal herausgesucht.“ Sie deutete auf den Stapel.
„Oh… Danke. Sollen wir dir noch helfen?
„Nein, alles gut. Was kann ich für euch tun?“
„Wir wollten dir nur sagen, dass wir uns bald wieder auf den Weg machen wollen“, erklärte Brianna und warf Rhiann einen kurzen Blick zu.
Tia legte einen Pullover zuende zusammen und platzierte ihn an der Seite. Sie kam auf die Beine. „Verstehe“, machte sie mit einem leichten Lächeln und nickte. „Das habe ich mir schon fast gedacht.“ Sie überreichte den Kleiderstapel an Brianna. „Ich werde euch schnell ein wenig Proviant vorbereiten, den ihr mitnehmen könnt. Ihr könnt in Ruhe packen.“

Als ich hinter Brianna ins Haus trat, entdeckte auch ich bald Tia, die mit der Wäsche beschäftigt war. Unsere hatte sie schon zusammengelegt, wie ich dann auch sehen konnte, nachdem mein Blick kurz durch den Raum geschweift war. Er wirkte gemütlich und bot mehr als genug Platz für die ganze Familie. Wohl so etwas was bei uns die gemeinsamen Abende am Lagerfeuer waren...
Meine Aufmerksamkeit richtete sich allerdings bald auf die beiden anderen Frauen, während Brianna Tia von unserem baldigen Aufbruch wissen ließ. Die Menschenfrau wirkte nicht überrascht und unterbrach sogar ihre Arbeit, um uns Proviant einzupacken, wie sie erklärte.
"Wir haben es nicht sehr eilig", versicherte ich ihr, damit sie sich nur keine Umstände machte und sich unnötig beeilte. Ich lächelte aber auch. "Aber vielen Dank, Tia. Auch für alles andere was du für uns getan hast."
Ich war mir bewusst, dass es nicht unbedingt selbstverständlich war und sie es nicht hätte tun müssen, also meinte ich es auch wirklich so. Tia war sehr freundlich zu uns gewesen. Nun, Brianna kannte sie ja, aber zu mir genauso, und hätte ich irgendeine Möglichkeit gehabt, die Freundlichkeit zu erwidern, hätte ich es gern getan.

"Ah... Oh..." Tia hielt inne und strich sich etwas abwesend oder vielleicht auch ein wenig verlegend über ihr Kleid. "Gern geschehen", sagte sie zu Rhiann und ein leichtes Lächeln bildete sich auf ihren Lippen, dass bald breiter wurde. "Es ist immer schön, so freundlichen und unkomplizierten Besuch zu haben."
"Es ist auch immer schön, hier bei euch zu sein", erwiderte Brianna und deutete dabei sogar so etwas wie eine leichte Verbeugung an, da sie Rhiann nur zustimmen konnte. Sie grinste. "Aber sie hat recht. Keine Eile, wir sind nicht auf der Flucht."
Nun ja, auch wenn das wahrscheinlich nur so halb stimmte. Wenigstens waren Rhiann und sie keine gesuchten Verbrecherinnen.
"In Ordnung. Wenn ihr möchtet, könnt ihr auch gern noch hier eine Kleinigkeit essen, bevor ihr aufbrecht. Ich werde schon mal etwas Wasser für eure Trinkvorräte hereinholen." Tia wartete noch kurz ab, machte sich dann aber auf den Weg nach draußen.
Brianna warf Rhiann einen Blick zu und seufzte dann leicht und mit einem schwachen Lächeln, bevor sie sich auf den Weg zum Gästezimmer machten und sie nun ja den sauberen Wäschestapel dabei hatten.
"Hier." Sie überreichte Rhiann ihre Kleidung, nachdem sie sie auf dem Bett kurz sortiert hatte, und widmete sich dann ihrer. Sie überlegte kurz, ob sie davon besser etwas anzog, entschied sich dann aber doch für nichts und verstaute einfach alles in ihrer Tasche. So viel Gepäck hatte sie nicht dabei und sie hatte sich auch nicht häuslich eingerichtet, weshalb sie schnell fertig war und sich dann einfach auf dem Bett niederließ. Abwartend, aber nicht ungeduldig. Sie kreuzte die gestreckten Beine und schaute zum Fenster.

Ich nickte auch noch einmal zur Bestätigung, immer noch lächelnd und auch erfreut darüber, dass Tia sich offenbar auch über unseren Dank - und unseren Besuch - zu freuen schien. Mein Blick huschte kurz hinüber zu Brianna, ehe Tia sich davonmachte und wir zurück ins Gästezimmer gingen. Etwas zu essen vor der Reise wäre vielleicht gar nicht so verkehrt, immerhin hatten wir schon ein paar Stunden vor uns, doch selbst ohne die Mahlzeit würden wir keine Probleme haben, und Tia wollte uns ja sogar noch Essen einpacken. Sie kümmerte sich wirklich sehr gut um uns.
Zurück im Zimmer sortierte Brianna schnell unsere Kleidung, woraufhin ich meinen Stapel mit einem "Danke" entgegen nahm und auf meine Seite des Bettes legte. Dann begann ich damit, mich umzuziehen und meine eigene Kleidung wieder anzuziehen, ehe ich den Rest von meinen Sachen wieder in meinem Beutel verstaute. Tias geliehene Sachen legte ich ordentlich zusammen und ließ sie auf dem Bett liegen. Daher war Brianna mit ihren Vorbereitungen natürlich vor mir fertig, doch auch ich brauchte nicht sehr lang und war bald soweit.
"Gut, ich bin soweit", sagte ich und nickte Brianna zu, nun bereit für den Aufbruch. Oder erstmal dafür, zurück zu Tia in die Stube zu gehen.

Die eine Nacht in einem richtigen Bett, besonders nach dem Streit zwischen ihnen und der darauffolgenden Jagd durchs Gelände, hatte ziemlich gut getan, und Brianna war zuversichtlich, dass auch der kürzere Rest der Reise gut klappen würde. Zwar schwebten immer noch diverse Dinge im Raum, doch die mussten sie nicht jetzt vor der Abreise, auf der Reise oder gleich am ersten Tag in Nevo klären. Oder sich ändern lassen, denn Trauer war ein Prozess mit Aufs und Abs.
Während Rhiann sich umzog, blieb der Blick der Frau aus dem Fenster gerichtet, auch wenn sie von ihrer niedrigen Position aus nur die Spitzen von ein paar Sträuchern, Hausdächer und den Himmel sehen konnte. Nur wenige Wolken zogen vorbei, Regen war sehr unwahrscheinlich. Wie eigentlich die meiste Zeit auf der Insel.
"Gut", sagte sie, als Rhiann verkündete, dass sie soweit war, kam auf die Beine und schnappte sich ihr Gepäck. Das konnten sie noch in der Küche verstauen, solange sie noch hier waren.
Tia hatte schon etwas aufgeschnittenes Brot und Auswahl für Belag wie zum Frühstück auf den Tisch gestellt, während sie selbst an der Küchenzeile stand und etwas Gemüse schnitt und zusammenpackte. ]"Möchtet ihr etwas Bestimmtes essen?". fragte sie, als die beiden anderen Frauen näherkamen. "Ansonsten würde ich euch ein paar Brote belegen und ich gebe euch Gemüse mit."
"Ah, für mich nichts Besonderes, danke. Wir werden ja heute Abend auch schon ankommen. So viel brauchen wir gar nicht", erwiderte Brianna und setzte sich.

Mit meinen Sachen folgte ich Brianna zurück in den Wohnraum, wo Tia sich wie erwartet schon an die Vorbereitungen gemacht hatte. Auf dem Tisch lag schon wieder praktisch ein ganzes Mahl ausgebreitet. Das Frühstück war zwar noch nicht allzu lange her, aber vielleicht lag es auch an der langen Reise hinter mir, dass ich das Essen trotzdem umso mehr zu schätzen wusste. Und es war hier auch einfach lecker.
Ich nickte zu Briannas Worten, als ich mich ebenfalls zu ihr an den Tisch setzte, wo Tia die Teller gedeckt hatte. "Ja, genau. Vielen Dank. Und das Brot war schon sehr lecker, damit bin ich sehr zufrieden", sagte ich auch und lächelte Tia an. Es stimmte, das Brot schmeckte hier anders als zuhause und war wirklich sehr lecker. Davon griff ich mir auch gleich eine Scheibe und begann damit, sie mit den Leckereien auf dem Tisch zu belegen. Wahrscheinlich würden wir am Ende so viel Essen haben, dass wir gar nicht alles unterwegs essen konnten. Aber ich wollte mich nicht beschweren, wir hatten es Tia ja schon gesagt, und tatsächlich war ich ziemlich dankbar für das gute Essen.

"Oh, das freut mich zu hören", sagte Tia aufrichtig, als Rhiann erwähnte, dass ihr das Brot gut schmeckte. Es war natürlich selbstgebacken, und natürlich hatte sie hier andere Zutaten zur Verfügung, sodass es anders schmeckte. Manchmal machte sie auch flache Fladenbrote, die Brianna sehr gerne aß, weil es sie an die Art und Weise erinnerte, wie die Feen oft und auch ihre Mutter früher immer Brot gebacken hatte.
Sie setzte sich zu den anderen beiden an den Tisch und machte sich daran, ein paar Brotscheiben zu nehmen und sie zu bestreichen und mit verschiedenen Aufschnitten zu belegen oder Marmelade darauf zu verteilen.
Brianna nahm sich selbst eine Scheibe und belegte sie mit Käse. Mehr brauchte sie gerade nicht, eigentlich hatte sie noch nicht einmal wirklich Hunger. Aber vollgestopft vom Frühstück war sie auch nicht mehr, sodass die Scheibe als frühe Mittagsmahlzeit schon ganz gut in sie hineinging. Außerdem würde es bedeuten, dass sie nicht so früh schon wieder eine Pause machen mussten, um dann etwas zu essen, sondern erst am Nachmittag, damit Nayol und Katarrah sich etwas ausruhen und auch die beiden Frauen sich noch einmal stärken konnten.
"Wir können die in meine Tücher einschlagen", sagte Brianna, als Tia fertg war, und stand auf, um aus ihrem Gepäck die frisch gewaschenen Tücher für das Proviant herauszuholen.
Tia stand ebenfalls wieder auf. "Für das Gemüse habe ich Blätter, dann wird nichts matschig." Sie kramte auf der Anrichte herum und hatte wenig später zwei Bündel in große Blätter eingeschlagenes Gemüse für sie bereit, das sie zu den Tüchern legte. "Möchtet ihr auch noch Tee mitnehmen? Sonst könnt ihr gern vom Brunnen Wasser abfüllen."
Brianna aß weiter an ihrem Brot. "Der war sehr erfrischend, aber du musst nicht extra welchen machen. Kannst du mir vielleicht ein bisschen davon mitgeben und mir sagen, was du da alles drinnen hast?"
"Ich kann es dir gern aufschreiben", erwiderte Tia, sodass die beiden anderen in Ruhe zu Ende essen konnten. Sie erledigte den Rest und legte Brianna einen kleinen Beutel mit etwas von der Teemischung hin. Bis auf den Gang zum Brunnen stand dem Aufbruch also nichts mehr entgegen.

Hunger hatte ich eigentlich auch nicht wirklich, schließlich war mein Frühstück auch noch nicht lange her, aber vor einer Reise, auch wenn sie nur das kleinere Stück war, war es sicher nicht verkehrt, noch etwas zu essen. Auch ich dachte daran, dass wir dann nicht so bald schon eine Pause brauchen würden. Und zudem schätzte ich das Essen ohnehin sehr, denn ich war ja auch schon länger unterwegs gewesen als Brianna und hatte ein paar Tage nur sehr karge Mahlzeiten gehabt.
Auch Tia setzte sich nun zu uns und machte sich gleich an die Arbeit, unseren Proviant vorzubereiten. Ich konnte mir kaum vorstellen, wer das alles essen sollte, aber ich war Tia dankbar für ihre Fürsorge. Wie so oft konnte ich meine Schwester leibhaftig vor mir sehen, wie sie neben mir am Tisch saß, sich an den guten Sachen bediente und fröhlich munter in ihrer Art mit Tia quatschte, sich für das Essen bedankte und ihre Begeisterung aussprach. Es war schmerzhaft zu sehen, wie lebendig Ela in meiner Vorstellung noch sein konnte.
Tia lenkte mich mit ihrer Frage nach dem Tee ab, und ich lächelte dankbar, stimmte Brianna aber zu. "Wasser für die Reise ist völlig ausreichend, vielen Dank", sagte ich schließlich auch, schließlich brauchten wir unserer Gastgeberin wirklich nicht noch mehr Arbeit machen als nötig, auch wenn der Tee sehr lecker gewesen war.
Aber da ich auch nicht wirklich Hunger hatte, war auch ich recht schnell mit dem Essen fertig und war danach auch wirklich satt, sodass ich so bald nichts mehr brauchen würde. Hoffentlich hatten sich die Tiere auch gut sattgefressen und erholt, wovon ich ausging.
Als ich den letzten Bissen fertig hatte und Brianna ebenfalls schon soweit schien, tauschte ich einen Blick mit ihr und nickte. Es wurde wohl Zeit für den Aufbruch. Fehlte nur noch, unsere Wasservorräte aufzufüllen und dann die Tiere fertig zu machen.

Brianna, die oft allein reiste und in Herbergen oder Gasthäusern unterkam, in ihrem Haus in Nevo allein lebte und es gewöhnt war, mehrere Tage in Folge niemanden zu sprechen oder nur mal einer anderen reisenden Seele zu begegnen, schätzte die Zeit am Küchentisch sehr. Das war auch einer der Gründe, weshalb sie aufgestanden war, um noch mit der Familie zusammen zu frühstücken. Deshalb freute sie sich auch jedes Mal darauf, ihre zweite Heimat zu besuchen oder in privaten Häusern, statt in Herbergen unterzukommen. Sie fragte sich, wie Rhiann damit zurechtkommen würde, wenn sie sich dafür entschloss, von Nevo aus weiterzuziehen.
Auch, wenn sie sich gerade sehr wohl fühlte, konnte sie die Stimmungsschwankung der jungen Frau spüren und wollte das Zusammensitzen am Tisch auch nicht in die Länge ziehen. Als sie ihren Blick auffing und das leichte Nicken sah, gab sie dieses daher mit einem Lächeln zurück und stand auf. “Gut. Dann werden wir uns jetzt mit Wasser eindecken und dann die Tiere fertig machen. Danach verabschieden wir uns“, sagte sie zu Tia und kontrollierte, dass das Essen, welches sie eingepackt hatte, gut verstaut und ihre Tasche verschlossen war. Sie nahm den Trinkschlauch.
„In Ordnung. Ich setze mich so lange nach draußen, dann sehe ich euch.“
Tia begleitete sie nach draußen, wo sie am Abend zuvor mit den anderen beiden abwechselnd das Wasser geholt hatte, und setzte sich dann auf die Bank am Terrassentisch, während sie ihre Wasservorräte auffrischten und sich anschließend auf den kurzen Weg zur Wiese machten.
Katarrah hatte sich in der Zwischenzeit einen schattigen Platz bei einigen Büschen gesucht und graste dort. Sie hatte sich gewälzt, weshalb Brianna ihr das Reithalfter anlegte und sie zum Stall führte, um nicht nur nach den Hufen zu schauen, sondern mit einer Bürste auch den groben Dreck aus ihrem Fell bürsten zu können. Mit der langen dunklen Mähne war sie auch nicht ganz zufrieden, aber das war nur eine ästhetische Unwichtigkeit und sie hatte keinen geeigneten Kamm dabei, sodass es nach ein bisschen Herumgezupfe mit den Fingern gehen musste.

Ich nickte Tia ebenfalls zu und trat dann mit den anderen beiden nach draußen, wo wir am Wasser unsere Trinkschläuche auffüllten und uns anschließend zu der eingezäunten Wiese aufmachten. Nayol hatte es sich im Gras gemütlich gemacht und war mit Wiederkäuen beschäftigt, stand aber auf und kam zufrieden herbei, als ich ihn rief. Er war nicht so schmutzig wie Katarrah, hatte es sich aber offensichtlich gut gehen lassen. Er sah ziemlich satt aus.
Ich kramte eine kleine Bürste aus meinen Satteltaschen und säuberte Nayols Fell noch ein wenig, ehe ich ihn sattelte und mein Gepäck hinten befestigte.
Es dauerte nicht lange, bis wir beide fertig waren und auch die Tiere aufbruchbereit. Ich hatte den Eindruck, Nayol freute sich sogar, dass es jetzt weiterging. Seine Augen blickten wach und aufmerksam. Vielleicht färbte er damit auch ein wenig auf mich ab, auf jeden Fall aber hatte es etwas Tröstliches, wieder meinen Gefährten der letzten Tage bei mir zu haben, der mir keine Fragen stellte und mich auch nicht kritisierte.
Auf dieser Reise war ich vermutlich mehr mit Nayol zusammengewachsen als wir es vorher gewesen waren. Ich hatte außer ihm ja auch niemanden.
Jetzt jedenfalls führten wir die Tiere hinaus und wieder zurück zu dem Haus, um uns von Tia zu verabschieden. Ich ließ Brianna den Vortritt, weil sie die Menschenfrau ja schon länger und auch besser kannte.

Die beiden Tiere zum Aufbruch bereitzumachen, hatte für Brianna etwas Routiniertes, das sie schließlich auch schon tausendmal erledigt hatte. Aber es stimmte auch sie wieder darauf ein, aufzubrechen, und außerdem auch wieder ganz in Verbindung mit der Stute zu treten, die sie schon ein paar Jahre begleitete und schon jede Insel mit ihr erkundet hatte.
Als Rhiann und sie, Katarrah und Nayol soweit bereit waren, führte sie ihr Reittier durch den Stall hinaus und den Weg entlang zurück zum Wohnhaus.
"Ich habe noch etwas Wasser hier. Ich habe ihnen am Morgen noch etwas gegeben, aber...", sagte Tia, als sie zum Zaun kam. Sie hatte zwei volle Wassereimer bei sich und kam durch das kleine Tor.
"Oh, das ist eine gute Idee, danke." Brianna machte ihr etwas Platz und ließ die Zügel los, als Tia Nayol und ihr das Wasser anbot, damit die beiden sich noch einmal satt trinken konnten, wenn sie es brauchten. Katarrah tauchte die Nase in das kühle Nass und nahm ein paar Schlucke, wollte anschließend aber nichts mehr.
Als die Eimer soweit uninteressant für die Tiere geworden waren, stellte Tia sie zur Seite und stemmte die Hände in die Hüften. Sie lächelte Rhiann und Brianna zu. "Es war schön, dich wiederzusehen. Und dich kennenzulernen", sagte sie. "Ich wünsche euch eine gute Weiterreise. Ihr seid jederzeit herzlich bei uns willkommen."
Brianna schloss sie in die Arme und drückte sie einen Moment lang an sich. "Vielen Dank für eure Gastfreundschaft, ich nehme sie jedes Mal gern in Anspruch. Grüß Ren und die Kinder."
"Das mache ich", erwiderte Tia und wandte sich zu Rhiann. Nun war sie diejenige, die sie einfach kurz in die Arme schloss, dabei auf die Flügel achtend. "Alles Gute", sagte sie, als sie sich wieder von ihr löste und schenkte ihr noch ein etwas sanfteres Lächeln. Dann trat sie zurück und ließ die beiden aufsitzen.

Wie sich herausstellte, hatte Tia wieder einmal weitergedacht und bereits Eimer mit Wasser für die Tiere bereitgestellt, damit sie sich noch einmal satt trinken konnten. Ich ließ Nayol vor dem Eimer stehenbleiben und zeigte ihn ihm. Er wirkte zwar nicht besonders interessiert, aber er war ein Tier, das in kahlen, heißen Gegenden lebte und wenig Wasser gewohnt war, daher kannte er es auch, sich gut satt zu trinken, wenn er mal Wasser zur Verfügung hatte. Daher steckte er trotzdem die Nase in den Eimer und trank ein wenig, hob aber bald wieder den Kopf und ließ den Eimer stehen. Ich forderte ihn auch nicht nochmal auf. Wahrscheinlich reichte selbst das ganze Gras für ihn schon eine gute Weile, denn es war hier deutlich grüner als zuhause, wo richtiges Gras kaum wuchs.
Ich wandte mich Tia zu und erwiderte ihr Lächeln, wartete aber, bis sie sich von Brianna verabschiedet hatte und sich mir zuwandte. Etwas überrumpelt war ich doch, als sie mich einfach in die Arme schloss, weil ich das von Fremden nicht gewohnt war. Aber vielleicht war das ja ein Brauch der Menschen...
Ich fing mich jedenfalls schnell wieder und lächelte die Frau an. "Vielen Dank, Tia. Es war sehr schön, bei euch zu Gast zu sein", sagte ich und neigte auch höflich den Kopf. Sie war der erste Mensch, den ich kennen gelernt hatte, und ich würde sie bestimmt in Erinnerung behalten. "Danke für alles."
Eigentlich war dieser Aufenthalt tatsächlich ziemlich gut gelaufen und hatte mir vielleicht auch gut getan. Jedenfalls hatte es mir einen ersten Eindruck der Menschen gegeben, und der war deutlich positiver, als ich erwartet hatte.
Ich wandte mich Nayol zu und stieg auf.

Zufrieden sah Brianna dabei zu, wie Tia Rhiann umarmte und diese sich bei ihr für den Aufenthalt bedankte. Sie war froh, mit ihr hier eine Pause eingelegt zu haben. Sie mochte das Dorf, kannte die Leute hier, die einander halfen und Fremde nie abwiesen, wenn es keinen guten Grund dafür gab.
Dass es anderorts anders war, wusste sie. Und dass es keinesfalls selbstverständlich war, auch nicht nur dadurch. Tia hatte ihr einmal durch die Blume zu verstehen gegeben, dass es hier im Ort einen Mann gab, der mal als Gefangener zum Drachenschlund hätte gebracht werden sollen und geflohen war. Tia meinte sogar, er wäre von dort entkommen, doch das glaubte Brianna nicht so recht. Trotzdem hatte das Dorf ihn nie verraten.
Auch Brianna verbeugte sich einmal leicht, und Tia gab die Geste an die beiden zurück.
"Besucht uns gerne wieder", wiederholte sie ihre Worte so halb noch einmal und sah ihnen dabei zu, wie sie aufstiegen.
Brianna schmunzelte, sagte aber nichts dazu, da Tia sowieso wusste, dass sie sie nicht zum letzten Mal gesehen hatte. Sie nahm die Zügel auf, strich Katarrah über den Hals und die Mähne und gab dann das stille Zeichen zum Losgehen, sodass die karamellfarbene Stute mit den schwarzen Beinen sich in Bewegung setzte. Brianna winkte. "Bis bald", rief sie noch über die Schulter und wandte sich dann nach vorn. Erst, als Tia aus ihrem Sichtfeld hinter der Hausecke zu verschwinden drohte, blickte sie noch einmal zurück und nickte ihr zu. Dann waren Rhiann und sie fürs Erste allein auf der Straße.
Auf dem Weg durch das Dorf kamen sie noch an ein paar Leuten vorbei, von denen sie zwei oder drei auf ihrem Spaziergang auch begegnet waren. Auch ihnen winkte Brianna oder verabschiedete sich leise, wenn sie sie passierten. Das Dorf zu verlassen, dauerte nicht lange, schließlich war und blieb es klein...