Raves Baumhaus-Bude

Ich schob den Haustürschlüssel in meine Hosentasche und wandte mich von dem kleinen Baumhaus ab, um zusammen mit Rin dem Steg zur Hauptbrücke zu folgen, die zwischen den Bäumen entlang führte. Ein kleines Stück weiter vorne befand sich einer der Aufzüge, mit denen man in den oberen Teil Cerns gelangen konnte. Es war nicht viel los, zumindest kam uns auf der kurzen Strecke hier oben niemand entgegen oder war zu sehen. Es war ja auch noch nicht Sommer und noch relativ kühl, da blieben die Leute eher Zuhause oder hielten sich in dem verhältnismäßig warmen Tunnelsystem von Cern-Yon auf.
Ich warf der Kleinen einen fragenden Blick zu, sagte jedoch nichts und wartete ab, bis sie wieder still war. Warum sie so grinste verstand ich nicht. War es etwa seltsam für sie ein ganz normales Leben zu führen? Wahrscheinlich schon, sonst würde sie ja nicht als Straßenkind herumlungern.
"Hm, ja im großen und Ganzen hab ich das. Ziemlich unspektakulär, nich'?" Ich lächelte schief und schob den Wäschebeutel, den ich mir über die Schulter geworfen hatte, zurecht, "is' wahrscheinlich nur halb so aufregend wie dein Leben in den letzten Jahren gewesen sein muss, nehm ich mal an." Wie man sicher schon bemerkt hatte, sehnte ich mir ja ein wenig Abwechslung echt herbei. Nicht, dass ich mir wünschte, wieder aufgrund irgendwelcher dubiosen Leute das Weite suchen zu müssen, aber meinen Gleiter würde ich wenigstens endlich mal wieder flugtauglich bekommen wollen...

>>> Eine Stadt in den Bäumen

Ich zog die Augenbrauen hoch und lächelte wieder breiter mit einem belustigten Glucksen, als Rave meinte dass es ja eher unspektakulär war. Das klang auch wirklich danach. Und er hatte wohl recht, ich hätte sicher hundert Geschichten erzählen können von Dingen die passiert waren oder brennzligen Situationen oder wo es lustig oder schrecklich gewesen war. Es wurde jedenfalls nie langweilig. "Ja, sieht so aus", meinte ich und ließ den Blick dabei wieder nach vorne gehen, wo ich den Aufzug entdeckte, auf den wir wohl gerade zusteuerten.
"Hast du denn nicht mehr diesen Gleiter, mit dem du rumfliegen kannst?", fragte ich und sah wieder zu Rave auf. Daran erinnerte ich mich noch gut und das hatte ich auch immer mit Rave verbunden, das Fliegen und wie wir da in diesem kleinen Gleiter rumgereist waren. Vielleicht war es deshalb so komisch, sich Rave hier vorzustellen.

----> auch

Öffentliche Bäder/ Cern-Yon >>>

Der Weg zurück verlief zumindest von meiner Seite aus relativ ruhig. Durch das warme Wasser und die generelle Entspannung war ich gerade schon ziemlich schläfrig und froh, wenn wir das Baumhaus dann auch endlich in den nächsten Minuten erreichten. Viel war noch immer nicht los, was, angesichts der voran geschrittenen Zeit, ja auch kein Wunder war. Ich war ein wenig unvorsichtiger als noch auf dem Weg zu den Bädern hin, falls man das so sagen konnte, aber bis jetzt war ja alles ruhig geblieben und der Gedanke an irgendwelche Verfolger nicht ganz so präsent in meinem schläfrigen Kopf.
Die Kurbel des Aufzugs, der in den oberen Teil er Stadt führte, gab mir -im übertragenen Sinne- dann auch den Rest und ich konnte mir ein leises Seufzen nicht verkneifen, als mein Haus endlich in Sichtweite rückte. Noch ein paar Minuten und ich lag im Bett! Haah...
Ich kramte den Schlüssel aus der Jackentasche, schob ihn ins Schloss, schloss die Tür auf und stieß sie auf. "Bittesehr, die Dame", ließ ich Rin den Vortritt und folgte ihr dann. Die Tür mit der einen Hacke zu schiebend beförderte ich den Wäschebeutel auf den Stuhl und ließ die Jacke mit einem herzhaften Gähnen von den Schultern gleiten. "Jetzt bin ich aber auch echt bettreif", verkündete ich und warf die Jacke zu dem Wäschebeutel über die Stuhllehne.

auch ---->

Als wir aus den Höhlen rauskamen, war es sogar noch kühler, und da war es nach dem heißen Bad und mit nassen Haaren auch gar nicht mehr so angenehm. Wie gut dass ich bei Rave untergekommen war, sonst wäre es draußen noch ungemütlicher gewesen...
Daher war ich auch ganz froh, als wir wieder bei dem Haus ankamen, und ich hatte den Eindruck, dass Rave auch ganz schön müde war. Ich war nicht ganz so erschöpft, aber ins Warme zu kommen war trotzdem schön. Und es war auch tatsächlich angenehm warm, dank dem Ofen, den Rave angelassen hatte.
Ich lächelte ihm zu, als er mir den Vortritt ließ, und trat ins Haus, wo ich auch meinen Umhang wieder auszog, nachdem Rave die Tür hinter uns geschlossen hatte. Ich streckte mich einmal und gluckste dann belustigt zu seinen Worten. "Du hast ja auf dem Kissen schon geschlafen", stellte ich fest und zog meinen Schal auch noch aus, den ich zu meinem Umhang einfach auf den Boden in der Nähe des Tisches warf. Gab ja eh keinen anderen Platz dafür und war mir auch egal. "Aber nach dem Baden war das auch ganz schön gemütlich", gab ich vergnügt zu.

"Naaah. Ich hab nur kurz die Augen zugemacht", witzelte ich und gluckste leise, ehe ich mich auf das Bett fallen ließ. War gut zu hören und auch zu sehen, dass Rin das Bad gut getan hatte. Konnte ich der Kleinen immerhin eine Freude bereiten.
Ich rappelte mich nach einem Moment noch einmal auf, weil das Feuer im Ofen noch etwas Nahrung benötigte, damit es auch die restliche Nacht schön warm blieb. Ich warf einen dicken Holzscheit in die nach wie vor prasselnden Flammen und schloss den Ofen wieder. Das sollte reichen.
"Tja dann würde ich sagen, gute Nacht, bis morgen?" Ich lächelte ihr zu und hob fragend eine Braue. Ich musste morgen jedenfalls wieder raus und nach dem Laden sehen, auch wenn ich keine große Lust dazu hatte. Konnte ich aber auch nicht ändern, es musste sein...

Ich kicherte bei Raves Antwort, der ich so gaaaar nicht zustimmte, aber ich sagte nichts mehr dazu und zog stattdessen meine Schuhe aus, die ich auch liegen ließ. Rave hatte das Feuer nochmal mit mehr Holz versorgt und ich merkte, dass er wohl wirklich ins Bett wollte. Naja, ich war noch nicht sooooo müde, aber ich hockte ja auch den ganzen Tag nur hier rum. Das war blöd...
Ich lächelte Rave trotzdem zu und nickte dann auch. "Ja, gute Nacht", erwiderte ich und trat auf die Leiter zu. Bestimmt war er morgen wieder arbeiten und ich war alleine... Ich musste mir was überlegen. Ich wollte ja auch nicht, dass das jetzt immer so blieb. Aber das ganze war eben nicht so einfach.
Ich stieg die Leiter rauf und krabbelte zu meiner Schlafnische, wo ich mich dann auch auf mein Lager fallen ließ. Ja gut, es war schon schön, sich hinzulegen und zu schlafen. Wahrscheinlich würde ich auch gar nicht so lange brauchen bis ich einschlief. Ich kuschelte mich unter die Decke.

Von der Kleinen kam mein Protest oder etwas, das die Aussicht, sich hinzulegen, verzögern würde, was ich ganz gut so fand. Ich war wirklich alle.
"Bin morgen erst mal wieder arbeiten", sagte ich noch, als sie schon dabei war, die Leiter hinauf zu steigen. Das konnte sie sich wahrscheinlich denken, aber nun ja, war besser, es noch einmal zu sagen, damit sie sich hinterher nicht wunderte und darauf einstellen konne. Ich würde sie morgen früh jedenfalls nicht wecken.
"Nacht", sagte ich dann nochmal, bevor sie ganz durch die Luke nach oben hin verschwunden war, dann wandte ich mich dem Bett zu, zog mich aus und ließ mich auf die weiche Strohmatratze fallen, zog die dünne Decke über mich und warf dem Feuer im Ofen noch einen Blick zu, bevor ich dann mit einem leisen Seufzen die Augen schloss.
Hoffentlich war der Alte morgen nicht im Laden...
Es dauerte nicht lange, bis ich eingeschlafen war und ich leise vor mich hin schnarchte. Es war das erste Mal seit Tagen dass ich einigermaßen gut und entspannt schlief und nicht das Gefühl hatte, als würde ich ständig unter Stress stehen.

Ich hielt auf der Leiter nochmal kurz inne und warf einen Blick zu Rave, als er verkündete, was ich mir schon gedacht hatte, nämlich dass er morgen wieder arbeiten war. Daher nickte ich auch einfach und kletterte weiter hinauf. So toll fand ich das wirklich nicht, aber scheinbar musste das ja so sein. Naja...
Ich ließ die Luke offen und krabbelte in meine Schlafnische, wo ich es mir gemütlich machte. Mein Blick war irgendwo ins Halbdunkel zwischen den ganzen Kisten gerichtet, während ich nachdachte, über unseren Ausflug heute und die letzten Tage, und mein Leben überhaupt. War das hier wirklich sowas wie ein "normales" Leben? Wenn ich Eltern gehabt hätte, hätten die ja auch arbeiten müssen. Vielleicht hätte ich auch eine Mama gehabt, die mit mir zuhause blieb und Sachen mit mir unternahm, oder Geschwister mit denen ich spielen konnte. Ich hatte schon seit einer Weile nicht mehr an sowas gedacht. Es war zu weit weg gewesen. Und war es eigentlich auch immer noch. Mein Zuhause war Anrin geworden, die Bande, Lu und Zack und Holly... und Tomme. Wenn Holly doch wenigstens hier wäre...
Und trotzdem war es so, dass irgendwie doch jeder für sich selber verantwortlich war. Man half sich zwar gegenseitig, aber nur soweit wie man selber keine Schwierigkeiten bekam. Die meisten jedenfalls. Ich kannte das schon. Vielleicht war das überall so. Aber es war trotzdem ein schöner Traum, dass es in einer richtigen Familie anders wäre. Naja. Das ging sowieso nicht.
Ich drehte mich auf die andere Seite und schloss die Augen.

Naja, der Stress kam dann spätestens wieder als ich am nächsten Morgen von den ersten Sonnenstrahlen geweckt wurde und feststellte, dass ich wieder einmal keine Lust hatte, aufzustehen und zum Laden zu gehen. Während ich allmählich wach wurde, ging mein Blick hinauf zur Zimmerdecke. Ich schob die Arme hinter den Kopf und seufzte leise, ließ mir noch die paar Minuten Zeit.
Wie lange soll das noch so weiter gehen, Rave? Rins ungewöhnlicher Besuch hatte mich aus meinem Alltagstrott heraus gerissen und erinnerte mich auf sehr unangenehme Weise daran, wie öde mein Leben geworden war. Nicht, dass ich den ganzen Stress brauchte, der mich hier nach Shushnar geführt hatte, aber... Ich vermisste das Fliegen und reisen... Vielleicht wurde es wirklich mal Zeit, die Zelte hier abzubrechen und das warme Nest zu verlassen. Cern war wirklich in Ordnung, aber wirklich Zuhause hatte ich mich immer nur in der Luft gefühlt. Ich vermisste die steife Brise, die Lasaliel umwehte... Und ja, ich vermisste auch meinen Alten in Anan und meine Bekannten, bei denen ich mich nie wieder gemeldet hatte, einfach, weil das sicherer gewesen war. Es waren sehr seltsame Dinge passiert und ich war mir nicht sicher, inwiefern ich irgendwelche seltsame Typen am Rockzipfel hängen hatte. Nun ja, mittlerweile bestimmt nicht mehr.
Ich stand auf, zog mich an und machte mich daran, das Baumhaus leise zu verlassen und hinter mir abzuschließen. Rin kannte das ja nun sicher schon und würde sich darüber ja hoffentlich nicht mehr aufregen.
Mit ihr würde ich heute Abend mal sprechen, wenn ich eher raus kam. Klar wollte ich ihr helfen und sie nicht auf der Straße schlafen lassen... Aber ewig so durchfüttern konnte und wollte ich sie auch nicht. Wie sollte sie dann lernen, auf eigenen Beinen zu stehen und zu sehen, wo es mit ihr hin gehen sollte?

Als ich aufwachte, war es still unten im Haus. Wahrscheinlich war Rave schon weg, so wie immer. Ich drehte mich auf die andere Seite und döste noch ein wenig vor mich hin, stand aber dann irgendwann auf und kletterte die Leiter hinab nach unten. Während ich überlegte, was ich heute machen wollte, machte ich mich auf die Suche nach etwas Essbarem und fand meinen Apfel von gestern noch, den ich zum Frühstück verputzte.
Genau genommen hatte ich schon eine Idee, was ich machen wollte. Das ganze mit dem Wäsche waschen und der Ausflug gestern hatte mich auf die Idee gebracht. Ich kletterte wieder die Leiter hinauf und begann, mich noch einmal in den Kisten umzusehen und diesmal das ein oder andere Kleidungsstück herauszuholen, das Rave wahrscheinlich schon seit Ewigkeiten nicht angerührt hatte. War mir natürlich alles zu groß, aber manches sah auch nicht so aus als würde es ihm überhaupt noch passen. Besser für mich. Meine eigenen Sachen zog ich aus, und dann verbrachte ich die nächste Zeit damit, ein paar Sachen anzuprobieren, und wenn mir etwas geeignet schien, krempelte ich die langen Ärmel hoch und versuchte die Kleidung so zu raffen, dass es mir nicht übermäßig zu groß war - mit eher mäßigem Erfolg, aber naja. Ich konnte auch ein bisschen nähen und konnte auch versuchen, mir das noch zurechtzumachen. Brauchen tat Rave die alten Sachen sowieso nicht mehr, so wie das aussah. Also machte ich mich auch auf die Suche nach was zum Nähen, oder wenigstens Schnur, um den Stoff zusammen zu binden, sofern Rave nichts zum Nähen hatte. Der kleine Dachboden jedenfalls war jetzt mein Reich und ich tobte mich darin aus, so lange Rave noch nicht da war. Dazu hatte ich die Dachluke geöffnet, damit Licht hereinkam und ich auch die Vögel und den Wind hören konnte. Es war komisch, die ganze Zeit nur im Haus zu sein. Aber das würde sich hoffentlich bald ändern. Ich wollte aber warten, bis Rave mittags heimkam und danach wieder weg war. Ich wusste ja nicht genau wann er kommen würde.

Wie immer kam ich zur Mittagszeit wieder nach Hause. Der Tag hatte wie jeder Andere begonnen und wenn mich irgendwer fragen würde, was so passiert war, hätte ich nichts spektakuläres zu erzählen gehabt. Der Alte war zum Glück nicht im Laden gewesen, weswegen meine Laune gar nicht mal so schlecht war und ich mich gerade einfach nur darüber freute, eine Stunde für mich zu haben, bevor ich dann wieder los musste. Ich hatte Rin und mir ein paar Früchte besorgt, die wir zum Mittagessen verspeisen konnten. Heute Abend würde ich wieder mehr Zeit haben, um etwas vernünftiges und generell mehr zu kaufen. Vielleicht sollte ich meine Vorräte auch mal auffüllen und aufhören, immer vom Hand in den Mund zu leben. Wenn man noch eine zweite Person mit versorgen musste, war das sicher die bessere Variante.
Ich schloss das Baumhaus auf und trat ein, ließ die Tür ins Schloss fallen und warf einen Blick zur Luke hinauf. Ein schmaler Streifen Sonnenlicht hatte sich ins Innere des Holzhauses verirrt.
"Hey, ich bin wieder da!", rief ich nach oben, zog den Mantel aus, streifte die Schuhe mit den Füßen ab und räumte das Obst aus meiner Tasche auf das Bett, "ich hab was zu Essen mit gebracht!"

Irgendwann, als ich schon richtig Hunger hatte, hörte ich tatsächlich Geräusche von unten, die Raves Kommen ankündigten, und legte meinen Kram beiseite. Ich hatte mich inzwischen wieder umgezogen und trug meine eigene Kleidung, als ich eifrig zu der Luke hinüber krabbelte.
"Hey!", grüßte ich lautstark und schob erst einmal den Kopf durch die Luke ein Stück nach unten, sodass ich Rave sehen konnte und ihn angrinste, aber gleich darauf richtete ich mich auch wieder auf, um mich umzudrehen und die Leiter hinab zu steigen.
"Au ja! Ich hab Hunger!", sagte ich dabei auch gleich und kletterte in Windeseile hinab, sprang die letzte Sprosse und landete dann unten auf dem Boden, wo ich mich zu Rave umdrehte. Diesmal roch es nicht nach etwas Warmen so wie die Nudeln, oder jedenfalls nichts so stark Gewürztes, aber das war ja auch egal, Hauptsache es war was zu Essen. Rave fing auch gerade damit an, einen Haufen verschiedenes Obst auf seinem Bett auszubreiten.
"Oh toll!", rief ich, denn das sah alles ganz lecker aus. Ich aß ja eigentlich so ziemlich alles; alles was ich in die Finger kriegen konnte jedenfalls.

Rin ließ nicht lange auf sich warten, hatte wahrscheinlich schon richtigen Kohldampf. Ich war ja auch wieder einige Stunden weg gewesen und wirklich was essbares befand sich hier ja nun wirklich nicht mehr. Wurde echt mal Zeit, wieder auf den Markt zu gehen und ein wenig Dörrobst- und Fleisch zu besorgen. Vielleicht konnte ich die Kleine ja dort hin mit nehmen.
Aber erst musste ich mal mit ihr darüber reden, wie sie sich vorstellte, wie es nun mit ihr weiter gehen sollte.
Ich lächelte weil Rin sich über das bisschen Obst so freute, als hätte ich ihr wieder Erdnudeln vorbei gebracht. "Naja, ist nichts besonderes, ne...hatte da leider keine zeit zu." Und auch nicht unbedingt das meiste Geld. Meinen Lohn bekam ich mehr oder weniger einmal die Woche und gegen Ende wurde es meist schon etwas knapp mit den Lebensmitteln, weil ich mich, wenn ich das Geld gerade frisch bekam, schon mal dazu hin reißen ließ, mir was richtiges zu gönnen. Besagte Erdnudeln, beispielsweise. Man Rave, du hast aber auch schon mal besser verdient.
Ich griff nach einem Apfel und begann, ihn an meinem Ärmel zu polieren. "Und? Was haste so gemacht? Biste vor Langeweile gestorben oder gings?"

Mein Blick huschte kurz hungrig über die bunte Auswahl, dann griff ich mir einen Pfirsich oder eine Nektarine oder was auch immer das nun genau war - war ja auch egal, die Dinger waren sich so ähnlich. Ich ließ mich dann auch gleich auf das eine Ende des Bettes plumpsen und setzte mich dort hin, ehe ich in meine Frucht hineinbiss.
"Hmhm, -auffache waf fu effen", meinte ich mit vollem Mund kauend und ließ es mir schmecken. Dass es nichts Besonderes war, wie Rave meinte, störte mich tatsächlich nicht, da war ich nicht wählerisch. Und das Obst schmeckte auch gut.
Nach Raves Frage sah ich ihn an, kaute aber erst meinen Bissen fertig und schluckte ihn herunter, bevor ich antwortete. "Na, fast", sagte ich und grinste kurz. Aber dann ließ ich den Scherz beiseite und zuckte mit den Schultern. "Ich hab wieder oben in den Sachen rumgewühlt und geschaut was es da so gibt. Manches scheint da schon ziemlich alt zu sein, oder? Warum hast du das alles überhaupt noch, wenn's da eh nur rumsteht?"

"Das stimmt", erwiderte ich auf ihre, zugegeben, etwas schwammigen Worte. Ich meinte jedoch, sie richtig verstanden zu haben. Besser irgendwas zu essen als gar nichts. Hunger war schon ein widerliches Gefühl. Ich sprach von echtem Hunger...den hatte ich in meinem Leben auch schon gehabt.
Während ich ihren weiteren Worten lauschte, biss ich herzhaft in meinen Apfel und kaute langsam. Aha, sie hatte also weiter in meinen Sachen herum geschnüffelt? Naja, das hatte ich jetzt davon, hatte es ihr ja angeboten. Wirklich schlimm fand ich es aber nach wie vor auch nicht. Das meiste von dem Zeug war ohnehin nur Krempel, den ich wahrscheinlich gar nicht brauchte. Zeug, das sich im Laufe der Zeit eben ansammelte und von denen man sich nicht trennen konnte, auch wenn man gute Vorsätze hatte und eigentlich mal ausmüllen wollte.
Ich schluckte und wischte mir mit dem Ärmel über den Mund und lächelte sie schief an. "Ich hatte ja eigentlich gedacht, dass gerade du sowas verstehen würdest. Ich hab nich' viel in meinem Besitz und dachte mir, dass ich irgendwas davon vielleicht nochmal gebrauchen könnte. Irgendwann." Ich zuckte leicht mit den Schultern. "Naja...außerdem sammelt sich Zeug echt schnell an, wenn du genug Raum besitzt, worin sich was ansammeln kann." Ich warf einen demonstrativen Blick durch den Raum und knabberte weiter an meinem Apfel herum.

Ein wenig fragend sah ich Rave an, als er mit der Antwort auf meine Frage begann, aber als er weiter erklärte, verstand ich dann auch was er meinte und musste zugeben, dass es schon irgendwie Sinn machte. Kam mir ja schließlich jetzt auch zugute, dass er das alles noch hatte. Auch wenn ich nicht fand, dass er wenig besaß. Naja, schon im Vergleich zu anderen wahrscheinlich, aber nicht für das was ich so gewohnt war.
"Hmm, stimmt, macht Sinn", meinte ich und legte den Kern beiseite, als ich mit meiner Frucht fertig war, um mir gleich darauf eine Banane zu nehmen, die ich begann zu schälen. Ich musste auch ein bisschen grinsen bei Raves letztem Kommentar und sah mich in dem eher unordentlichen Zimmer um. "Hehe, na gut, ich hab ja keinen Raum wo ich irgendwas sammeln könnte." Vielleicht besaß ich deshalb auch nicht viel. Ob ich das Zeug auch so sammeln würde, wenn ich Platz hätte? Vielleicht schon. Aber auch wenn ich zwar einen Schlafplatz hatte, das war etwas anderes. Wenn man nicht aufpasste, wurde das was man sich sammelte geklaut. Deshalb brachte es mir eh nichts.
Und außerdem war es gut, dass Rave so viel Platz hatte. Damit ich hier auch noch unterkommen konnte.

Ich brummte zustimmend und nagte an dem Gehäuse des Apfels herum. Hatte nicht lange gedauert, bis ich den vertilgt hatte, weswegen ich mir nun gleich einen Zweiten nahm. Diesmal war es ein grüner und etwas sauerer, der mich leicht das Gesicht verziehen ließ, als ich unpoliert von ihm abbiss.
Ich war kurz mit kauen und schlucken beschäftigt, ehe ich wieder etwas auf Rins Worte erwidern konnte. "Heh, dann warts mal ab, bis du 'ne eigene Bleibe hast. Und dann erinner dich an meine Worte." Es klang fast wie eine Drohung, aber eine nicht ernst gemeinte, was man an meinem Zwinkern und dem Lächeln leicht erkennen konnte. Mit Sicherheit sah es so, wie es bei mir aussah, nicht bei allen aus. Ich wusste, dass ich es schon ordentlicher und netter hier haben konnte, hatte für Ordnung aber noch nie so wirklich Sinn gehabt. Zeit und Lust hatte ich auch nicht. Da legte ich mich dann doch lieber ins Bett und bekam eine Mütze mehr voll Schlaf oder zog um die Häuser.
"Haste denn noch was brauchbares gefunden?" So wie es klang, hatte Rin ja noch einmal etwas intensiver in meinem Zeug herum gekramt.

Ich gluckste belustigt bei Raves Antwort, sagte dazu aber nichts, weil ich gerade wieder den Mund voll Banane hatte und erstmal kauen musste. Und mein Lächeln wurde auch langsam blasser, während mein Blick von Rave abglitt.
Wenn ich mal ne eigene Bleibe hatte, hm? Boah... Wenn ich daran dachte, wo ich wohl wäre wenn ich erst so alt war wie Rave, dann.... Ich wusste auch nicht. Ich konnte mir das gar nicht vorstellen. War auch besser, nicht drüber nachzudenken, also schon ich den Gedanken schnell weg.
Ich sah wieder zu Rave bei seiner Frage und schob mir erstmal den letzten Bissen Banane in den Mund, bevor ich antwortete. "Hmm", machte ich daher erstmal nur, ohne dass es wirklich was bedeuten musste. Außerdem überlegte ich gerade, ob ich Rave etwas erzählen sollte. Und dass ich überhaupt überlegen musste, war schon komisch.
"Da war eine Kiste mit so Sachen die aussahen wie von Maschinen oder so. Da hab ich wieder an deinen Gleiter gedacht", sagte ich daher lieber, als ich geschluckt hatte. "Oh und mit alter Kleidung und so... Dachte vielleicht find ich ja was das mir auch halbwegs passt", fügte ich dann beiläufig hinzu.

Das die Kleine etwas länger brauchte, um auf meine Frage zu antworten, störte mich nicht und ich dachte mir auch nichts dabei und nagte stattdessen weiter an dem sauren Apfel herum, der meine Speicheldrüsen auf Hochtouren brachte. Zugegeben, seit Rin hier rein geplatzt war, ernährte ich mich auf jeden Fall deutlich ausgewogener und abwechslungsreicher. Oft lebte ich auch einfach nur von trockenem Brot, Trockenfrüchten, Dörrfleisch und anderen länger haltbareren Lebensmitteln.
Auch wenn man es mir nicht anmerkte versetzte mir alleine schon die Erwähnung meines Gleiters einen Stich. Tja, bei dem Thema war ich schon etwas empfindlicher, vor allem, weil es wohl mein innigster Wunsch war, endlich wieder fliegen zu können. Das Leben auf dem Boden machte mich eben doch kaputt, auch wenn ich es mir noch so schön redete.
Aber darüber dachte ich jetzt auch nicht nach und hörte stattdessen Rin zu. "Oh, echt? Und?" Das war auf die Klamotten bezogen. Mir machte es nichts aus, wenn sie was gefunden hatte und gebrauchen konnte. Sonst hätte ich ihr ja auch nie angeboten, dass sie in den alten Kisten herum kramen konnte, wenn sie Lust hatte. Wahrscheinlich hätte ich die Sachen auch weg geräumt und sie erst dann oben alleine mit dem Zeug gelassen. Ich wusste, wie lang die Finger von Straßenkindern sein konnten. Blöd war ich ja nicht.

Mir wäre es lieber gewesen, wenn Rave bei dem anderen Thema geblieben wäre, aber dazu sagte er gar nichts, sondern hakte erst nach, als ich ihm von der Kleidung erzählte. Ich zuckte mit den Schultern und ließ die Bananenschale bei dem restlichen Obst auf dem Bett liegen.
"Das ist mir trotzdem alles viel zu groß, aber wenn ich das irgendwie ein bisschen kleiner machen kann, dann geht ein bisschen was davon bestimmt", erklärte ich ihm dann und suchte mit dem Blick über das ausgebreitete Obst, bevor ich mich für eine weitere Nektarine entschied. Die waren lecker.
"Und Ärmel kann man ja hochkrempeln und so", fügte ich dann mit einem Blick zu Rave hinzu und biss dann genüsslich von meiner Frucht ab.

Ich nickte langsam. Zwar war Rin gefühlt doppelt so groß wie damals, aber noch immer ein ganzes Stück kleiner als ich und ganz davon abgesehen auch zierlicher, so als kleines Mädchen. Da war es kein Wunder, wenn meine alten Sachen nicht passten.
"Haste denn 'ne Schere oder sowas gefunden? Nähzeug hab ich nich', glaub ich." Konnte aber auch sein, das es doch irgendwo noch herum flog. Als ich mir noch was daraus gemacht hatte, wie meine Klamotten aussahen, hatte ich die Löcher selbst gestopft und genäht, mittlerweile war es mir egal oder gönnte mir den Luxus und fragte eine Bekannte von mir, ob sie sich gegen ein wenig Geld darum kümmern konnte. Das klappte in der Regel ganz gut. Außerdem musste ich das bisschen meiner Freizeit nicht für sowas opfern.
Ich hatte auch den zweiten Apfel verputzt und machte mich nun über eine Orange her. Das sollte erst einmal reichen. Ich konnte viel essen, wenn ich hunger hatte, schaffte es aber auch ohne Probleme, mit weniger klar zu kommen. Daran gewöhnte man sich wenn man kein Geld hatte oder keine Zeit zum einkaufen oder kochen.

Ich schüttelte den Kopf. "Ne, noch nicht. Aber ich such noch weiter", sagte ich munter und lächelte wieder. Viel mehr anderes zu tun hatte ich ja auch nicht. Nähzeug hatte ich auch nicht gefunden, und jetzt wusste ich auch warum, wenn Rave keins hatte. Aber naja, das machte nichts. Ich würde mir schon was einfallen lassen. Und scheinbar hatte Rave ja auch wirklich nichts dagegen, wenn ich seine alte Kleidung wieder verwendete. Manches von dem sah auch so aus, als wäre ihm das auch zu klein, also brauchte er das ja ganz sicher auch nicht mehr. Außerdem hatte er so viel!
Ich verputzte noch das Obst das ich in der Hand hatte, und weil die viele Auswahl so verlockend war, nahm ich mir noch eine Pflaume, die war ja nicht ganz so groß. Gebraucht hätte ich eigentlich nicht mehr unbedingt was, aber ich konnte auch noch was essen, und ich musste ja ausnutzen, dass etwas da war. Danach reichte es aber auch erstmal.

Ich nickte leicht, sagte aber nichts mehr, womit auch dieses Gesprächsthema erledigt zu sein schien. Rin nahm sich noch eine Pflaume, ich schälte meine Orange und war während der nächsten Minuten damit beschäftigt, sie zu verspeisen.
Dabei drehten sich meine Gedanken weiter um die Kleine und ich überlegte, ob jetzt vielleicht der Zeitpunkt war, sie einmal darauf anzusprechen. Ich musste zwar bald wieder los, aber dann konnte sie sich immerhin schon mal Gedanken machen, sofern sie das nicht sowieso schon die ganze Zeit tat. Ihr war ja sicher auch klar, dass sie nicht für immer hier bei mir wohnen bleiben würde. Und wenn doch war das schon ganz schön dreist von ihr.
"Also", begann ich dann und schob mir aber noch das letzte Stück Orange in den Mund, das wenige Sekunden später in meinem Magen verschwunden war. Ich rieb mir die Hände an der Hose ab und hob den Blick in das Gesicht des jungen Mädchens.
"Hast du denn mal überlegt, was du als nächstes vor hast?" Mehr fragte ich nicht und führte auch nichts weiter aus. Es sollte auch nicht so wirken, als hätte ich es eilig, sie loszuwerden. Hatte ich ja nicht. Aber sie hing mir eben auch auf der Tasche und ich unterstützte es nicht, sie durchzufüttern, ohne das sie sich Gedanken machte, wie sie zu allem beitragen konnte.

Ich hatte meine Pflaume schnell weggefuttert und kaute noch auf dem letzten Stück herum, als Rave wieder begann etwas zu sagen, oder eher zu fragen. "Hmm... Nicht so richtig", antwortete ich dann nach kurzem Zögern und nachdem ich den Mund wieder leer hatte. So ganz stimmte das ja auch nicht, denn ich hatte sehr wohl schon überlegt und ein paar lose Gedanken geformt, aber was sollte ich Rave denn groß sagen? Außerdem war er ein Erwachsener. Und hatte sein eigenes Leben... Ach keine Ahnung. Ich war ja nur hier, weil ich keine bessere Idee gehabt hatte.
"Ein bisschen versteckt bleiben und, wie heißt das...? Die Sache abkühlen lassen, oder so", fügte ich hinzu, um zu zeigen dass ich sehr wohl wusste was ich tat. Naja, wusste ich nicht ganz, aber so ungefähr zumindest. Man durfte schließlich auch nicht vergessen, dass ich erst zwölf Jahre alt war. Und große Lebenspläne hatte ich schon gar nicht.

Ich runzelte die Stirn und neigte den Kopf, nickte aber zuerst einmal. Okay, ruhig verhalten und die Sache aussitzen war ja schon einmal eine Art von Plan... "Das heißt, du wirst gar nicht mehr dort hin zurück gehen, wo du vorher gewohnt hast?", fragte ich dann aber nach. Wirklich viele Informationen hatte mir die Kleine ja nicht gegeben, außer das sie nun Ärger am Hals hatte, weil sie ja ihre Ware oder Diebesgut oder was-auch-immer verloren hatte. Ich war auch immer noch der Meinung, dass es nur gut war, wenn sie so schnell wie möglich aus diesem Milieu verschwand und sich was vernünftiges suchte. So jung war es aber natürlich nicht gerade einfach. Ich hatte ein paar Bekannte hier, die konnten vielleicht... Und schon nimmst dus wieder auf eine persönliche Ebene, Rave...
Tatsache war, dass ich weder die Zeit noch die finanziellen Mittel hatte, um für Rin irgendwie aufzukommen. Was zu essen zu kaufen war die eine Sache... Aber es konnte ja jetzt nicht die nächsten Jahre so weiter gehen. Sie musste was vernünftiges anpacken und sowas wie eine Richtung haben, auf die sie zuarbeiten konnte. Aha, und du bist das Paradebeispiel?
Jedenfalls gab es ja diverse Anlaufstellen für kleine Kinder. Auch wenn ich mir nicht vorstellen konnte, das Rin da mit machen würde. Sie kannte ja auch scheinbar nichts anderes als das Straßenleben.