Briannas Haus

Das Grundstück, welches Brianna in Nevo bewohnt, liegt ein ganzes Stück am Hang des Vulkans hinauf. Sie wohnt in einem betuchteren Viertel, da sie über die Jahre genug Vermögen angehäuft hat, um sich ein hübsches Haus leisten zu können und abseits von Trubel - und Armut - zu verweilen.
Das Grundstück ist von einer Mauer umgeben, über die normalgewachsene Zweibeiner nicht hinübersehen können. Hier und dort ist sie jedoch von "Fenstern", offenen Zierrahmen, durchbrochen, sodass sie weniger massiv und abweisend wirkt. Durch diese Unterbrechungen in der Mauer kann man Blicke auf einen hübschen, grünenden Garten erhaschen.
Tatsächlich ist der Garten Briannas ganzer Stolz. Sie hegt und pflegt ihn mit Hingabe und hat für die Zeiten, in denen sie nicht in Nevo ist, gute Gärtner, die ihn erhalten. Ihrer väterlichen Linie ist es zu verdanken, dass die Pflanzen besonders gut gedeihen und man sich schon in einer Art kleiner Oase wiederfindet, sobald man durch das Tor am Grundstückseingang getreten ist. Es gibt sogar einen kleinen Bachlauf vor dem Wohnteil des Hauses, der in einen kleinen Teich mit bunten Fischen endet. Auch sieht man hier häufiger Vögel, die vielleicht aus den Gärten des Adels entflohen sind und sich bei ihr wohlfühlen.
Gedrungene Bäume mit feurigem Laub bieten Schatten, wenn die Sonne besonders erbarmungslos vom Himmel scheint. Eine kleine Glutweide mit orangeroten Zweigen beugt sich über den Teich und bewahrt ihn zumindest zum Teil vor dem Verdunsten.

Das Haus selbst ist gar nicht so groß, wie man glauben könnte. Es hat zwei Stockwerke, wobei das obere Stockwerk nicht komplett über dem ersten ausgebaut ist. Unten befindet sich der Eingang gegenüber dem Tor und ein dunkler Steinweg führt dorthin. Das Erdgeschoss liegt zwei Stufen über dem Boden und ist von einer überdachten Veranda umgeben. Links vom Eingang erstreckt sich der Rest des Hauses - im Erdgeschoss gibt es eine Küche und ein Badezimmer, am weitesten links einen großen Wohnraum mitsamt einem Schreibtisch unterhalb eines großen Fensters. Die Wände lassen sich teilweise zur Seite schieben (Shoji), sodass man den Blick auf den Teich und in den Garten vom Wohnzimmertisch aus genießen kann. In Richtung Teich handelt es sich um doppelte Wände, von denen die einen Fensterwände sind, sodass man in der kalten Jahreszeit nach draußen sehen kann, ohne frieren zu müssen, sie im Sommer oder zum Lüften aber ganz öffnen kann. Beim Teich ist die Veranda auch tiefer und bildet eine Art Terrasse.
Beim Eingang führt eine Holztreppe in das Obergeschoss. Hierbei handelt es sich um ein Schlaf- und Arbeitszimmer. Man kann es durch dünnere Papierwände insgesamt in drei einzelne Zimmer aufteilen, wodurch auch Gäste sich zurückziehen können. Nur schalldicht sind sie natürlich nicht.
Im ganzen Haus gibt es diverse Bücherregale, alle vollgestopft mit Manuskripten, teilweise auch mit Schriftrollen, und mit dicken Wälzern. Die großzügige Küche beherbergt zudem einen verschlossenen Bereich, in welchem Brianna ihre Kräuter und andere Heilpflanzen sammelt und trocknet. Von diesen lassen sich auch im Garten einige finden, doch nicht für alle bieten sich ideale Vegetationsbedingungen. Daher hat sie eine erstaunliche Sammlung von den anderen Inseln und unternimmt auch immer wieder Reisen, um ihre Vorräte aufzustocken.

Nevos Straßen --->

Sie lachte bei Rhianns Frage leise auf und nickte. "Ja, das ist mein Haus." Das Tor verschloss sie hinter ihr und führte sie dann den Weg entlang zur Haustür. Leises Plätschern von links verriet das Vorhandensein von sich bewegendem Wasser, doch man konnte den kleinen Bachlauf und den Teich nicht sehen, da Büsche und auch kleine Bäume den Blick versperrten.
Der Garten war zwar nicht gerade tropisch, aber das warme Klima und das Wasser, der Schatten, den die Bäume am Tag spendeten, half diesem kleinen Biotop dabei, sich in grüner Farbe zu entfalten und eine eigene kleine Welt zu schaffen, die man hinter der Mauer nicht erwarten würde. Kjubika war nicht überall trocken und karg, aber Nevo war immer noch eine dichtbesiedelte große Stadt, die weniger Platz für Pflanzen und wildlebende Tiere ließ.
Der Garten war auch maßgeblich dafür, dass Brianna sich in Nevo wohlfühlen konnte, obwohl Natur nicht viel Platz hatte. Sie war stolz darauf und musste ihre Manoah-Wurzeln aufgrund ihres Manoah-Daumens nicht dafür verfluchen, sich in einer Stadt nicht gutfühlen zu können.
In der Dunkelheit waren nicht allzu viele Details zu erkennen, doch der Duft verriet, dass nicht nur Grün und Zierpflanzen hier wuchsen, sondern auch Kräuter.
Brianna öffnete die Tür und überließ es diesmal Rhiann, sie wieder zu verschließen, nachdem sie die beiden Stufen auf die Veranda hinaufgetreten war. Im Eingangsbereich zog sie die Stiefel aus, da diese dem mit Matten ausgelegten Boden im Rest des Hauses nicht guttaten und auch nicht erforderlich oder erwünscht waren. Anschließend entzündete sie eine Lampe, die den Eingang erhellte, und setzte ihre Tasche ab.
"Möchtest du noch einen Tee oder etwas zu essen oder dich gleich zurückziehen?", fragte sie Rhiann und trat zur Seite.

ebenfalls ------->

Stumm folgte ich Brianna auf dem Weg in Richtung des Hauses und blickte mich staunend in der üppigsten Wildnis um, die ich je gesehen hatte. Nicht dass der Garten an sich wild aussah, im Gegenteil, doch diese ausladenden, riesigen Pflanzen hatte ich so noch nie gesehen, und im Gegensatz zu meiner kahlen Heimat war dieser Garten geradezu überfüllt. Und das nicht im negativen Sinne, sondern einfach so voll mit Leben, dass ich es kaum fassen konnte. Ich hatte noch nie so viele Pflanzen auf einem Haufen gesehen.
Und das obwohl die Dunkelheit mir gar keinen weitreichenden Blick erlaubte. Bei Tag musste es unglaublich sein.
Ich musste mich tatsächlich etwas beeilen und dazu anhalten, mich nicht zu sehr umzusehen und mich stattdessen aufs Weitergehen zu konzentrieren, sodass ich in Briannas Nähe blieb und nicht trödelte. Wir erreichten das Haus und ich tat es meiner Gastgeberin gleich und ließ die Stiefel und auch meine Taschen am Eingang stehen, ehe ich ganz ins Haus trat. Warmer Feuerschein erhellte bald den Raum, der nochmal völlig anders aussah als das Haus, wo wir letzte Nacht übernachtet hatten. Ich hielt mich beisammen, auch wenn mir klar war, dass Brianna wusste, wie fremd das alles für mich war. Es war ja überhaupt erst das zweite Mal, dass ich in einem festen Haus stand.
Mein Blick huschte zurück zu Brianna, als sie mich etwas fragte. Trotz der Dunkelheit und der weiten Reise wäre an Schlaf für mich wohl sowieso nicht zu denken, dazu hatte ich viel zu viele neue Eindrücke zu verarbeiten, aber auch so konnte ich gut etwas vertragen. "Ja, ein Tee wäre schön", antwortete ich und nickte leicht.

Auch wenn Rhiann nichts sagte und nach außen hin nicht staunend und mit großen Augen und offenem Mund den Weg durch den Garten zurücklegte, konnte Brianna dieses Staunen genau spüren. Es wunderte sie nicht und es war auch nichts Schlechtes. Sie kommentierte es jedoch auch erst einmal nicht. In erster Linie war sie froh, nun zu Hause angekommen zu sein.
"Gut, dann mache ich uns noch einen", sagte sie mit einem weiteren Lächeln. Bevor sie jedoch in die Küche trat, schob sie auf der linken Seite des Eingangsbereiches die Shoji, die bewegliche Wand mit einer Vertiefung im Rahmen, der als eine Art Griff fungierte, zur Seite. Dahinter kam der Wohnbereich in Sicht, der sich über fast die ganze linke Seite des Hauses erstreckte. Er war mit weichen Bambusmatten ausgelegt, es gab einen großen, aber niedrigen Tisch bei den Fenstern zum Bachlauf, an dem man auf Kissen auf dem Boden platznahm, auch hier drinnen gab es Pflanzen in Töpfen, die sogar exotischer und fremdartiger waren als die Pflanzen draußen. Bücherregale an den Wänden, einige dekorative und gleichzeitig nützliche Gegenstände wie eine Landkarte, ein Fernrohr aus Messing und andere Dinge, zierten den Raum. Auch ein Sofa gab es an der einen Wand.
"Wenn du möchtest, kannst du im Wohnzimmer warten und es dir gemütlich machen. Du kannst aber auch mit in die Küche kommen", erklärte Brianna die zur Seite geschobene Shoji, ehe sie zu einer weiteren gegenüber der Haustür trat, wo sich die Küche befand. Sie öffnete sie und der Geruch nach Kräutern, der sich überall dezent im Haus entfaltete, wurde etwas stärker.

Ich nickte nur still und sah Brianna hinterher, wie sie eine Wand mit scheinbarer Leichtigkeit beiseite schob und einen weiteren Raum offenbarte, der wohl so etwas wie einen Wohnraum darstellte. Auch hier gab es einiges zu sehen, das ich aber noch nicht sofort in Augenschein nahm, sondern den Blick zuerst wieder zurück zu Brianna wandte, die eine weitere Wand zur Seite schob, wohinter sich eine Küche befand.
"Ist gut", sagte ich und folgte ihr einen Moment lang neugierig mit dem Blick, wandte mich aber dann in den großen Raum, in den ich eintrat. Brianna konnte in Ruhe arbeiten und ich hatte hier genug zu sehen.
Das hier war noch einmal etwas ganz anderes, als das Haus in dem kleinen Dorf, auch wenn ich durchaus Gemeinsamkeiten sah. Langsam trat ich in den Raum und ließ den Blick umherschweifen, über die vielen Gegenstände, von denen ich nicht alle kannte, die Bücher und andere Papiere, die Pflanzen... Alles war fremdartig und erstaunlich, eine völlig andere Welt. Ich strich mal hier mit den Fingern über die Buchrücken, dann dort über das seltsame, lange Metallding, betrachtete die Papiere an den Wänden, doch schließlich nachdem ich eine Weile langsam durch den Raum geschritten war, setzte ich mich auf eins der Kissen auf dem Boden - das war definitiv vertrauter als in dem Dorf - und ließ nur noch den Blick umherschweifen, während ich auf die Geräusche aus der Küche lauschte und meine Gedanken schweiften. Es war schön hier, auf seine fremde Art, und man bekam auf jeden Fall das Gefühl, dass hier jemand wohnte.

Mit einem Gern und einem weiteren Lächeln wandte Brianna sich der Küche zu. Die Tür ließ sie offen und kümmerte sich darum, Wasser zu holen und es zum Kochen zu bringen. Den Ofen ließ sie aus, da es nicht unangenehm kühl im Haus war, und erhitzte das Wasser stattdessen mithilfe der kleinen purpurnen Feuerkugel. Für die Menge an Tee, die sie kochen wollte, war das ausreichend und dauerte auch nicht lange.
Während das Wasser heiß wurde, mischte sie ein paar Kräuter zu einem Tee zusammen. Er enthielt beruhigenden Lavendel für guten Schlaf, aber auch ein paar andere Kräuter für das Wohlbefinden. Der Duft war angenehm, nicht aufdringlich, aber doch recht intensiv, als sie das Wasser schließlich aufgoss. Sie war es gewohnt, dass das Haus nach Kräutern duftete, aber dennoch stand sie einen Moment lang dort und atmete nur den frischen Wasserdampf, der mit den ätherischen Ölen der Kräuter gefüllt war.
Dann platzierte sie alles auf einem Tablett, legte einen Teller mit Keksen aus einer Dose hinzu und ging damit hinüber ins Wohnzimmer. Rhiann hatte es sich in der Zwischenzeit auf einem der Kissen am Tisch gemütlich gemacht. Brianna entzündete eine weitere Laterne und eine Kerze, die sie auf den Tisch stellte.
"Er muss nur noch einen Moment ziehen. Bedien dich am Gebäck. Ich hoffe, es schmeckt dir." Es handelte sich dabei um Butterkekse, die mittlerweile nicht mehr ganz knusprig, aber immer noch sehr lecker waren, wie Brianna fand. Sie waren außerdem nicht so süß und passten gut zum Tee. Sie nahm sich selbst einen und biss genüsslich hinein.

Während Brianna in der Küche zugange war und ich mich ein wenig im Zimmer umsah, hatte ich etwas Zeit, die vielen neuen Eindrücke ein wenig auf mich wirken zu lassen und zu verarbeiten. Es war wirklich viel gewesen die letzten Tage, vor allem Nevo war nochmal um einiges mehr gewesen, als ich mir vorgestellt hatte. Wahrscheinlich war es eben schwierig, sich eine große Stadt vorzustellen, wenn man noch nie auch nur eine kleine Stadt und kaum ein Dorf gesehen hatte. Es gab sehr vieles, was ich noch nicht wusste.
Und das alles lenkte mich auch ziemlich ab und beschäftigte mich, was vermutlich gar nicht so schlecht war, auch wenn ich nicht so wirklich darüber nachdachte. Sogar Elas Stimme in mir wurde leiser angesichts dieses Trubels um mich herum.
Jetzt jedenfalls hatte ich etwas Zeit, wieder zur Ruhe zu kommen, worüber ich auch froh war.
Es dauerte nicht mehr lange, bis Brianna mit einem Tablett herüberkam und dabei den Duft von Kräutertee mit sich brachte. Sogar Kekse hatte sie mitgebracht, und ich kam gern ihrer Aufforderung nach und nahm mir einen davon, nachdem ich mich bedankt hatte. Offensichtlich war das Essen bei uns Zuhause sehr anders als hier, doch solche Kekse waren mir nicht fremd. Es war etwas, was man sehr leicht mitbringen konnte, wenn man zu uns zu Besuch kam. Und was natürlich jedes Kind erfreute.
"Du wohnst hier ganz alleine in diesem Haus?", fragte ich nach einigen Momenten, als ich den Mund wieder leer hatte. Meines Wissens nach lebte Brianna alleine, aber für mich, die immer meine Familie um mich gehabt hatte, und das auf deutlich engerem Raum, war es trotzdem erstaunlich, wie man alleine so viel Platz bewohnen konnte. Und sich nicht einsam fühlte.

Brianna machte es sich bequem und zog die Beine auf der einen Seite des Körpers an, sodass ihre Füße sich neben ihrer Hüfte befanden. Sie schaute zum Fenster, das nur halb sichtbar war; auf der anderen Seite war die Wand zugezogen. Aber draußen war es mittlerweile sowieso so dunkel, dass der Lampenschein hier drinnen im Fenster reflektierte und man eh nicht viel sehen konnte.
Auch sie nahm sich einen Keks. "Hm? Ja, meistens bin ich allein hier", antwortete sie. Ihr Lächeln verriet, dass sie es nicht unangenehm fand. Sie kannte sehr viele Leute auf der einen Seite - auf der anderen Seite war sie meist allein auf Reisen, allein in Unterkünften, und auch hier wohnte sie prinzipiell allein. Dafür war das Haus nicht einmal überdurchschnittlich groß, wenn man nach Nevo-Verhältnissen der betuchteren Leute ging. Für Rhiann musste das Haus dennoch völlig überdimensioniert wirken.
"Ich wäre auch mit etwas Kleinerem zufrieden. Aber hier habe ich genug Platz für Bücher, für Mitbringsel von Reisen, meine Kräuter... Und ich empfange auch Besuch." Sie zwinkerte und biss in ihren Keks.
Zufrieden seufzte sie über den süßen, aber nicht zu süßen Geschmack im Mund. Sie hatte keinen wirklichen Hunger, aber das tat gerade nach der langen Reise wirklich gut. Sie kümmerte sich dann auch um den Tee und bewegte das Sieb etwas in der heißen Flüssigkeit, damit alles sich gut verteilen konnte.
"Du wirst staunen, wie groß die wirklich großen Häuser hier in Nevo sind", fügte sie hinzu und ihr Lächeln wurde schief. "Oh, und wie prunkvoll und luxuriös. Einiges finde selbst ich ziemlich übertrieben, und ich hab gefühlt schon alles gesehen." Sie winkte ab. Was Rhiann wohl zu den Hochhäusern in Anan sagen würde? Oder: zu den wunderbaren Holzhäusern oben in den riesigen Bäumen Cerns?

Brianna war mir schon immer wie eine sehr entspannte und ausgeglichene Person erschienen, die auch irgendwie eine beneidenswerte Zufriedenheit und Leichtigkeit ausstrahlte. So kam es mir auch jetzt vor. Es schien ihr nichts auszumachen, hier alleine zu wohnen, und überhaupt wirkte sie sehr zufrieden mit ihrem Haus. Ich erwiderte ihr Lächeln leicht und biss wieder von meinem Keks ab. Er schmeckte wirklich gut. Und der Tee roch schon ziemlich gut, auf den wartete ich aber noch, bis er fertig war.
Erstaunt blickte ich zu Brianna auf, als sie erzählte, dass es hier noch viel größere und prunkvollere Häuser gab. Sicher, sie hatte uns auch früher schon von den Häusern anderer Gegenden erzählt, aber 'groß' war eben ein sehr dehnbarer Begriff, und wenn man solche Berichte bei uns zuhause in unseren Zelten hörte, war es etwas ganz anderes, als wirklich hier zu sein und so große Häuser zu sehen. "Wirklich? Für nur eine Person, oder eben eine Familie?", hakte ich nach, und konnte mir das kaum vorstellen. "Was machen sie mit so viel Platz?"
Bei uns war Besitz nicht so wichtig, wir besaßen nur das was wir zum Leben brauchten, und sicher, auch ein paar Kleinigkeiten, aber ich wüsste gar nicht, womit ich so ein Zimmer füllen würde, geschweigedenn ein ganzes Haus. Das Wichtige für uns waren die Beziehungen, die Familie. Mit denen lebte man zusammen, und viel Platz brauchte man da nicht, vor allem da sich das Leben bei uns ohnehin mehr im Freien abspielte.
Es war wirklich völlig anders hier.

Brianna knabberte noch einmal an ihrem Keks, wodurch sie zwar beim Grinsen keine Zähne zeigte, aber doch nicht verbergen konnte, dass Rhianns Reaktion sie amüsierte. Lustig machte sie sich nicht über sie, dennoch war es lustig, dass sie so darüber staunte, was für andere eine Selbstverständlichkeit war. Und wenn nicht eine solche, dann zumindest es ihnen bekannt und im Bereich der Vorstellungskraft lag, dass jemand viel zu viel Platz in seinem gigantischen Haus hatte.
"Beides. In der Kaiserfamilie hat beispielsweise jeder seinen eigenen Palast, aber dennoch wohnen sie nicht allein dort, sie haben ja viele Bedienstete und andere Untergebene. Nun ja, auch wenn die ... dort wohl auch nur ihre Arbeit in den Palästen verrichten. Schlafen tun sie sicher nicht dort..." Und sicher nicht luxuriös.
Sie machte eine kurze Pause und legte den Kopf schief. "Der ganze Platz wird unterschiedlich genutzt. Manche Leute haben viele Dinge, viele Bücher, Kunstgegenstände wie Gemälde oder Skulpturen, mit denen sie ihre Häuser füllen. Andere nutzen die Bauweisen, um Eindruck zu machen und zu zeigen, dass sie viel Geld und Ansehen haben. Dann werden teure Materialien zum Bauen verwendet und das innere mit ausladenden Möbeln, Säulen oder anderen Verzierungen bestückt. Andere tun beides. Ihre Größe herzeigen und viele Dinge erwerben, um ihre Häuser zu füllen.
Aber allgemein gilt: Je größer Grundstück und Eigenheim, desto reicher und angesehener." Jetzt grinste sie, zuckte dann die Schultern - und verdrehte auch die Augen. "Die Gier der Zweibeiner in Städten ist oft unersättlich."
Sie schwenkte das Sieb in der Teekanne herum und goss ihnen dann etwas ein, sodass noch mehr von dem wohltuenden Duft sich am Tisch verteilte und aus den dampfenden Tassen stieg.

Seinen eigenen Palast?!
Ich verkniff mir einen erstaunten Ausruf und hörte einfach nur schweigend, aber mit großen Augen zu. Nein, vorstellen konnte ich mir das nicht, und genauso wenig konnte ich mir vorstellen, völlig allein in so einen riesigen Haus zu wohnen. Oder ein solches mit Dingen zu füllen, deren Bedeutung für die Besitzer ich nicht so recht nachvollziehen konnte.
Aber auch wenn es mich kein bisschen reizte, machte es mich doch neugierig, es zumindest mal zu sehen. Ich konnte jedenfalls Elas Fernweh vielleicht ein bisschen besser verstehen, seit ich damit angefangen hatte, so vieles zu erleben. Der Gedanke versetzte mir wieder einen Stich, dass sie nicht hier war, um es mit mir zu erleben.
"Ich kann nicht behaupten, dass ich sie verstehe", meinte ich leise, während ich dabei zusah, wie Brianna den Tee eingoss. Als sie damit fertig war, dankte ich ihr leise und nahm meine Tasse in die Hand, zunächst mal einfach um den Duft einzuatmen und die Wärme zu spüren.
Brianna brauchte ich ja nicht zu erzählen, dass bei uns die Familie das wichtigste war. Mir wäre nie in den Sinn gekommen, ein riesiges Haus mit Dingen zu füllen, statt die um mich zu haben, die mir wichtig waren. Wir verbrachten unser ganzes Leben in Gemeinschaft, mit Eltern und Geschwistern, später Ehepartnern, Kindern, irgendwann Enkeln... Man war nie alleine. Das Ansehen und die Ehre war die Familie.
Ich vermisste meine...
Ich hatte nachdenklich in meine Tasse geblickt und nahm nun einen Schluck daraus, wobei ich die Gedanken absichtlich beiseite schob. Und ebenfalls absichtlich lächelte ich leicht und blickte zu Brianna auf. "Du machst wirklich den besten Tee."

Brianna lachte unbekümmert "Manches kann ich auch immer noch nicht verstehen, obwohl ich schon so lange hier wohne und auch die anderen Städte besucht habe. Ich muss sagen, Anan und Nevo kommen mit den beeindruckendsten Bauten, was die Größe angeht. Rean ist ebenso sehr imposant, aber auf ganz andere Weise. Und Cern ist im Vergleich zu allen dreien geradezu bescheiden, obwohl sie ihre Häuser in den Bäumen und unter der Erde haben. Und natürlich sind nicht alle Zweibeiner so verschwenderisch. Viele sind bescheiden." Mit einem Seufzen verebbte ihr Lächeln etwas, aber es verschwand nicht. Auch wenn sie verschwieg, dass nicht nur Bescheidenheit, sondern auch Armut in Städten zu kleineren Wohnverhältnissen führte.
Sie war zufrieden und mochte es, Rhiann ein wenig erzählen zu können. Sie hoffte, dass es sie nicht nur abschreckte, weil sie es nicht verstand, sondern auch neugierig machte, anderes zu sehen und neues zu erleben. Gerade hatte sie das Gefühl, dass dem eher so war, auch wenn sie vermutete, dass das Fehlen des Vertrauten und der Familie sie besonders jetzt und am Anfang beschäftigen würde.
Auch sie verfiel etwas in Schweigen, während sie den Tee eingoss und den Duft der Kräuter in der heißen Flüssigkeit einatmete und genoss. Rhiann war die erste von ihnen, die probierte, aber sie wartete ohnehin ihr Urteil ab. Es gab Leute, die bestimmte Kräuter eben einfach nicht mochten, und Rhiann sollte ja keinen Tee trinken, der ihr nicht schmeckte.
"Das höre ich gerne, danke. Freut mich, wenn er dir schmeckt. Er sollte guttun und dabei helfen, heute hier in der Fremde Ruhe zu finden." Sie zwinkerte und nahm nun auch selbst einen Schluck von ihrem Tee

Vielleicht war es irgendwie ein klein wenig... man hätte sagen können beruhigend - auch wenn das ein etwas zu starkes Wort war -, dass auch Brianna dieses Verhalten nicht richtig nachvollziehen konnte. Mir kam der Gedanke, dass die Bewohner von hier meine Lebensweise wahrscheinlich genauso seltsam finden würden, wie ich ihre. Da war es irgendwie angenehm, zumindest jemanden "auf meiner Seite" zu wissen.
Wie seltsam, riesig und vielfältig diese Welt doch war...
Das zeigte sich auch in dem, was Brianna zu den Städten auf den anderen Inseln sagte. Ich wusste nicht viel von den anderen Inseln und kannte mich dort auch nicht aus, die Namen der großen Städte und Orte hatte ich höchstens mal von Brianna oder ihrer Mutter gehört, hauptsächlich natürlich, weil meine Schwester so neugierig gewesen war.
In den Bäumen, wiederholte ich gedanklich voller Staunen und schüttelte leicht den Kopf in einer ungläubigen Geste. Brianna hatte uns das schonmal irgendwann erzählt, aber ich fand es schwer zu glauben, dass es Bäume so groß wie Berge gab. Der größte Baum, den ich je gesehen hatte, war nicht größer als ihr Haus, und auch das war erst in den letzten Tagen gewesen. Cern klang wie aus einem Märchen. Genau wie Rean, das unter Wasser liegen sollte. So viel Wasser...
Ich sagte nichts, weil es zu sehr wehtat, Elas freudig aufgeregte Stimme in meinem Kopf zu hören, die Brianna mit Fragen zu den anderen Städten löcherte und sich darüber aussprach, wie gern sie sie alle sehen wollte.
Stattdessen wechselte ich das Thema und widmete mich meinem Tee. Dass er noch sehr heiß war, störte mich natürlich nicht.
Mein leichtes Lächeln zuckte auch noch einmal auf bei Briannas Worten. Ich fand es nicht verwunderlich, dass sie den besten Tee machte, den ich kannte, schließlich kam sie an Zutaten heran, die wir nicht hatten und deren Umgang wir nicht so gewohnt waren, selbst wenn wir sie bekamen. Wir waren auf Leute wie Brianna angewiesen, die uns das brachten, was wir nicht selbst sammeln und herstellen konnten.
"Die Müdigkeit von der langen Reise sollte wohl ihr Übriges dazu tun", sagte ich noch immer lächelnd und senkte den Blick wieder auf meinen Tee, von dem ich dann noch einen Schluck nahm. Ich sagte es hauptsächlich, um zu überspielen, dass ich beruhigende Kräuter wahrscheinlich sehr nötig hätte, um einen ruhigen Schlaf zu finden. Ich fühlte mich immer noch nicht so, als könnte ich bald schlafen. Zu viele Eindrücke. Zu viele Gedanken, Erinnerungen. Zu viel Schmerz.

Brianna nickte bedächtig und zeigte Rhiann ein etwas weicheres, fast schon nachsichtiges Lächeln. Sie war nicht so sicher, ob die anstrengende Reise allein die junge Feuerfee heute schnell in den Schlaf locken würde, oder ob der Tee dabei helfen musste. So oder so würde er sicher nicht dabei schaden, ihre Gedanken zu beruhigen und sie zu entspannen. Ein Wort von ihr, und Brianna hätte ihr auch ein richtiges Kräutermittel anbieten können, um ihr beim Einschlafen zu helfen, doch zum einen war sie nicht derart skeptisch bei Rhianns Erwiderung und zum anderen wollte sie ihr auch nichts aufdrängen, was sie vielleicht gar nicht brauchte.
Sie genoss noch einen Schluck von ihrem Tee, stellte die Tasse dann jedoch erst noch einmal ab und schaute wieder zum Fenster hinüber. "Ich werde morgen früh einige Einkäufe erledigen müssen. Möchtest du mich dabei begleiten? Dann kann ich dir ein wenig die Stadt zeigen." Ihr Blick huschte zurück zu Rhiann. "Doch ich warne dich vor. Wenn wir zum Markt gehen, ist es schon in der Früh sehr belebt, es wird voll sein."
Auf Rhiann wartete sicher noch ein Kulturschock, und Brianna wusste ja, dass sie große Menschenansammlungen gar nicht kannte. Nicht am eigenen Leib jedenfalls. Das musste nicht in Überforderung gipfeln, doch gewöhnungsbedürftig war es zum allerersten Mal mit Sicherheit. Vor allem Situationen nach Verlusten, mit gedrückter Stimmung und dem Bedürfnis des Zurückziehens konnte so etwas sehr anstrengend sein. Andererseits würde man Nevos Straßen kaum je als leer bezeichnen. Außer vielleicht zu Uhrzeiten wie diesen.

Das kurze Schweigen zwischen uns unterbrach ich nicht und ließ den Blick auch auf meine Tasse gesenkt und dann über den Tisch und den Teller mit den Keksen schweifen. Hauptsächlich um Brianna nicht anzusehen. Sie war viel zu aufmerksam.
Sie war es also, die die Stille nach ein paar Momenten wieder brach und meine Gedanken auf morgen lenkte. Konkrete Pläne hatte ich natürlich noch nicht, doch die Stadt ein wenig kennen zu lernen war auf jeden Fall naheliegend - und Ela hätte es gewollt. Irgendwie war das hier schließlich auch ihre Reise, mehr als dass es meine war.
Ein Teil von mir hatte die leise Hoffnung, mich ihr näher zu fühlen, wenn ich die Dinge tat, die sie tun würde...
"Ja. Das klingt nach einem guten Plan", sagte ich nach einem Moment und blickte auf, als ich das Gefühl hatte, mich wieder besser im Griff zu haben. Die Zwischenzeit hatte ich mit einem weiteren Schluck Tee überbrückt.
"Was heißt voll? Mehr als heute?", fragte ich kurz darauf noch nach, weil ich mir schwer vorstellen konnte, wie es sein sollte, wenn Brianna es schon so sagte. Für mich war es heute schon sehr voll gewesen. Es klang allerdings nicht so, als wäre das alles gewesen, sonst hätte sie es sicher nicht so gesagt.

Sie nickte zunächst mit einem weiteren Lächeln. Ihr Blick aber blieb auf Rhiann gerichtet, fast ein wenig abwartend, als würde sie bereits mit der Frage rechnen, die im Anschluss kam. Oder als wäre sie selbst am Überlegen, ob sie die junge Frau besser intensiver vorwarnen sollte. Oder als warte sie ab, ob sie sich doch wieder umentschied.
Ihr Lächeln geriet eine Spur schief. Denn "mehr als heute" war vermutlich noch fast eine Untertreibung. "Es werden so viele Leute um dich herum sein, dass du sie nicht wirst zählen können", gestand sie. "Du wirst auch nicht viel Platz haben, ohne sie zu berühren. Jedenfalls, wenn die Zeit voranschreitet, während wir auf dem Markt sind." Sie verschwieg lieber, dass es zu Stoßzeiten so voll sein konnte, dass man sich zwingend durch die Menge hindurchschieben musste, denn sie plante nicht, so spät noch auf dem Markt zu sein. "Es wird gewöhnungsbedürftig sein. Ich kann auch allein gehen und mache mich mit dir erst später auf den Weg, wenn die Straßen wieder leerer sind. Du kannst dir den Markt auch ansehen, wenn du dich besser an die vielen Leute gewöhnt hast."
Sie wirkte hierbei wieder zuversichtlicher und griff wieder nach ihrer Tasse. Jedem, der belebte Gegenden eher gewöhnt war, würde sie sagen, dass man den Markt zu Tageshochzeiten unbedingt erleben musste. Die Düfte, die Marktschreier, das bunte Treiben und die Auswahl an Lebensmitteln und anderen Gütern… Aber Rhiann würde sie nicht dazu raten.

Briannas Beschreibung bewies wieder einmal, dass ich keine Ahnung hatte. Und dieses Gefühl war tatsächlich auch sehr unangenehm. Das Unbekannte, die Ungewissheit verunsicherten mich. Es war nicht so, dass ich Angst davor hatte, aber mir gefiel es nicht, wie wenig Ahnung ich von allem hatte.
Das was Brianna beschrieb, konnte ich mir tatsächlich kaum vorstellen. Ich schwieg ein paar Augenblicke lang und überlegte, während ich noch einen Schluck Tee trank.
"Vielleicht kann ich es mir in meiner kleinen Feengestalt aus der Luft ansehen", überlegte ich schließlich laut. So wäre ich immerhin nicht im Gedränge und hätte einen gewissen Abstand zu dem ganzen. Ich könnte mich in dieser Form sogar auf Briannas Schulter setzen. Oder eben einfach wieder zurück hierher fliegen.
"Aber ja, vielleicht gehen wir sonst einfach später los", fügte ich hinzu. Die Stadt anzusehen könnte sicher interessant werden, und wenn es auch Zeiten gab, wo es ruhiger war, war das sicher angenehmer.

Etwas nachdenklich und die Antwort abwartend, nippte sie an ihrem Tee. Doch als Rhiann überlegte, dass sie in ihrer kleinen Feengestalt mitkommen konnte, hellte ihre Miene sich auf und sie hob den Kopf.
"Das ist eine gute Idee!", sagte sie mit einem breiten Lächeln. "Du kannst einfach auf meiner Schulter sitzen. Oder von oben schauen, wenn du neugierig bist. Und wenn es dir zu viel wird, könntest du dich in meiner Tasche oder im Korb ausruhen, das wäre ja auch kein Problem." Tatsächlich fand sie die Idee ziemlich gut und wäre selbst wohl gar nicht darauf gekommen.
Dadurch, dass sie die kleine Feengestalt nicht annehmen konnte, vergaß sie hin und wieder, dass die anderen Feuerfeen es konnten. Das einzige, was bei ihr Ähnlichkeit damit hatte, war die kleine purpurne Feuerkugel, die sie beschwören konnte. Aber weder hatte sie Flügel, noch konnte sie sich klein machen, und das fand sie oft ziemlich schade. Natürlich konnte niemand etwas dafür, immerhin hatten ihre Eltern sich nicht aussuchen können, welche Eigenschaften sie von wem von beiden bekam. Eigentlich war sie sogar ziemlich stolz darauf, was aus ihr geworden war und wie sie die Fähigkeiten beider so halbwegs in sich vereinte. Aber diese Flügel...
Ihr Blick streifte seitlich den einen auf Rhianns Rücken. "Schauen wir morgen früh einfach, wonach dir ist." Sie nickte leicht und leerte ihre Tasse, um sich etwas nachgießen zu können. Auch der jungen Feuerfee bot sie noch einmal etwas an und nahm sich noch einen Keks.

Ich nickte zustimmend, als Brianna das aussprach, was ich mir auch schon überlegt hatte, als ich diesen Vorschlag gemacht hatte. Im Alltag nutzte ich meine kleine Gestalt normalerweise nicht oft, denn es war meist nicht nötig. Als Kinder hatten wir es öfter getan, vor allem um Streiche zu spielen oder uns davonzuschleichen oder ähnliches, aber ansonsten war es vor allem gut, wenn man sich verstecken oder unauffällig bleiben wollte. So wie in diesem Fall, mehr oder weniger. In meiner normalen Gestalt über dem Markttreiben zu fliegen würde viel zu viele Blicke auf sich ziehen, aber bei Tageslicht fiel das Leuchten meiner kleinen Gestalt kaum auf.
"Ja", sagte ich zum Schluss noch und lächelte ebenfalls einen Augenblick lang leicht, ehe ich ebenfalls den letzten Schluck aus meiner Tasse trank. Da der Tee gut gewesen war und ich gerne noch mehr vertragen konnte, hielt ich auch Brianna dankend die Tasse entgegen, als sie mir noch einmal etwas nachschenken wollte, und behielt sie dann wieder in der Hand.
Natürlich hätte ich auch einfach später mit Brianna losgehen können, aber andererseits wollte ich auch sehen, wie dieser Markt so war. Und überhaupt. Vielleicht war es ein gewisser Trotz in mir, gegen dieses unangenehme Gefühl des Unwissens, das ich bekämpfen wollte. Oder um mir selbst zu beweisen, dass ich dieser großen Stadt gewachsen war. Abgesehen von all den anderen Gründen, warum ich grundsätzlich hier war...

Sie nickte noch einmal bei Rhianns Zustimmung, immer noch lächelnd und sehr zufrieden mit dem Ergebnis. Es war die beste Lösung, ohne dass Rhiann Einbüßungen beim Erlebnis haben würde und sich trotzdem sofort zurückziehen konnte, wenn es zu viel wurde.
Anschließend genoss sie einträchtig die Ruhe zwischen ihnen, nachdem sie ihnen Tee nachgegossen hatte. Ganz leise hörte man auch etwas Geplätscher von draußen oder mal einen Windzug an der Hausecke. Und natürlich das leise Knuspern von Keksen.
Als sie schließlich die Kanne geleert hatten, räumte Brianna alles wieder auf das Tablett. "Benötigst du noch etwas, bevor wir schlafen gehen? Ich werde dir gleich das Bett vorbereiten und dir bequeme Kleidung zum Schlafen geben." Abschätzig musterte sie Rhiann. "... Sie könnte dir etwas zu groß sein, aber die Hose kann man an der Hüfte zubinden. Sollte also zumindest nicht runterrutschen." Sie grinste und kam anschließend auf die Beine. "Das Badezimmer zeige ich dir. Komm."
Sie führte Rhiann zunächst zurück zur Küche, um das Tablett dort abzustellen, dann brachte sie sie zu einem Raum dahinter. Es war ein Waschzimmer, geteilt in einen mit einer Halbwand abgetrennten Bereich mit einer gemauerten Badewanne und einen Bereich mit Toilette und Utensilien zum Händewaschen und für die Katzenwäsche. Es gab eine Wasserzuleitung über einen Boiler in der Küche, wo Brianna im Ofen schon ein Feuer angeheizt hatte. Für ein heißes Bad würde es heute nicht mehr reichen, aber für laues Wasser bei der Katzenwäsche.
"Hier kannst du dich frischmachen und so weiter. Wenn du morgen oder in den nächsten Tagen baden willst, sag Bescheid, damit wir den Ofen früh genug vorbereiten können. Und ich nachschauen kann, ob genug Wasser im Speicher ist." So fortschrittlich und technisch wie die Leitungs- und Wasserspeicherungssysteme in Anan war Nevo leider nicht, aber auch hier hatte man sich natürlich viele Gedanken zur Wasserbeschaffung gemacht. Jeder brauchte Wasser. "Du kannst dich ja soweit fertig machen, während ich oben deinen Schlafplatz vorbereite. Die Sachen leg ich dir hin."

Während wir unseren Tee tranken und ich langsam meine Tasse leerte, nahm ich mir auch einen weiteren Keks und aß diesen, eher weil sie lecker waren, als dass ich Hunger hätte. Meine Gedanken kreisten wie so oft um die vielen verschiedenen Dinge, die mich so beschäftigten, von denen ich über die Hälfte ja eigentlich gar nicht nachdenken wollte. Aber es dauerte auch nicht sehr lange, bis die Teekanne leer war und es Zeit zum Schlafen wurde. Und tatsächlich freute ich mich darauf, mich hinzulegen. Die Reise war insgesamt doch ziemlich erschöpfend gewesen.
Ich sah Brianna an und nickte zu ihren Ausführungen. "Es wird schon gehen. Nein, ich brauche nichts weiter."
Damit stand ich auf, nachdem ich meine Tasse wieder aufs Tablett gestellt hatte, und folgte Brianna zunächst in die Küche, wo mein Blick kurz umherschweifte, ehe ich meiner Gastgeberin in den Raum dahinter folgte. Er war ähnlich wie das Badezimmer von Tia, in der Funktion zumindest, denn ein wenig anders sah es hier schon aus. Solche Waschräume schienen hier jedenfalls normal zu sein. Daran konnte ich mich gewöhnen. So lange es nicht dieses ewige Wasser-Schleppen gab.
Hier schien das aber nicht der Fall zu sein, so wie Brianna es kurz darauf erklärte, und ich nickte langsam. Für heute reichte eine kurze Wäsche auf jeden Fall, doch auf das Bad hier war ich auch gespannt. Man merkte, dass dies eine weit fortschrittlichere Stadt war als das kleine Dorf. Und natürlich sowieso vollkommen anders als bei uns Zuhause. Natürliche heiße Quellen schien es auch hier nicht zu geben, aber eine Erfindung scheinbar, die das Wasser gleich hierher brachte.
"Ja. Danke", sagte ich und warf Brianna einen weiteren Blick mit einem leichten Lächeln zu und wartete, bis sie gegangen war, ehe ich mich an meine Katzenwäsche machte. Um den ganzen Reisestaub loszuwerden reichte es natürlich nicht, aber da ich gestern schon ein ausgiebiges Bad genommen hatte, war es auch nicht so schlimm und reichte für heute allemal aus. Ich wollte auch nicht zu viel Zeit damit verbringen, sondern mich lieber bald hinlegen.

Brianna nickte nur mit einem Lächeln und ließ Rhiann dann allein, nachdem sie ihr auch ein frisches Handtuch aus einem Schrank gegeben hatte. Sie stieg die schmale Treppe aus dunklem Holz empor, deren eine Stufe leise knarzte. Auch die Holzdielen oben knarrten hier und dort sacht, wo sie unter ihren leichtfüßigen Schritten nachgaben. Brianna mochte diese leisen Geräusche des Holzes. Sie waren vertraut, das Gefühl unter ihren Sohlen ein Stück zu Hause. Ebenso wie sie das glatte, warme Empfinden der Tatamimatten hin und wieder vermisste, wenn sie länger unterwegs war. Auf diese trat man auch im ersten Stock, wenn man die Treppe und eine Art Flur hinter sich ließ, der vor dem Schlafraum entlanglief und aus ebenjenen Holzdielen bestand.
Auch hier oben war der Raum durch Shoji abgetrennt und ließ sich in der Mitte durch sie noch einmal in zwei Teile teilen. Normalerweise waren sie in der Mitte offen, da Brianna ja in der Regel allein hier schlief, doch sie mochte Privatsphäre ebenso wie Geselligkeit, sodass sie die Paneele so weit verschloss, dass nur links eine Öffnung in den hinteren Teil des Raumes blieb und der Rest abgetrennt war. Sie holte für Rhiann ein Futon aus einer Schrankwand, das dort ordentlich zusammengelegt und ansonsten vorbereitet gewartet hatte, drapierte die Unterlage ordentlich auf den Matten und schüttelte die Decke vorsichtig auf. Für Wesen, die mit Hitze nicht so gut konnten wie sie beide, würde es darunter sicher ziemlich mollig werden, doch Rhiann gefiel das ja vielleicht. Und wenn nicht, dann lag immer noch eine dünnere Decke aus Wolle zusammengefaltet bei der Wand. Aus dem eher flachen Kissen duftete es nach Lavendel und anderen Kräutern.
Als sie fertig war, ging sie in den hinteren Teil des Raumes, wo sich ihr eigenes Bett befand. Die Lampen hatte sie entzündet, sodass beide Raumteile in heimeliges Licht getaucht waren. Sie zog sich um und seufzte zufrieden, als sie ihre Reisekleidung gegen ein bequemes weiches Nachthemd eingetauscht hatte.

Es dauerte nicht lange, bis ich fertig damit war, mich zu waschen und ein wenig frisch zu machen nach der Reise, und auch wenn es kein richtiges Bad war, fühlte ich mich danach schon viel sauberer. Anschließend ging ich die Treppe hinauf und sah mich in diesem Bereich des Hauses um.
Brianna hatte bereits Lichter angezündet und auch ein Bett vorbereitet, wie es aussah. Auch hier wirkte der Raum auf mich relativ großzügig bemessen, aber dieses Gefühl würde ich in solchen Häusern wohl nicht so schnell loswerden. Und es bedeutete ja nicht, dass ich es ungemütlich fand.
Auf einem Schlafplatz auf dem Boden zu schlafen war jedenfalls wieder mehr das, was ich auch von Zuhause her kannte, bloß dass die Materialien hier wohl anders waren. Sehr bequem sah es auf jeden Fall aus, und auch die leisen Geräusche, die von Brianna trotz der Abtrennung des Raumes zu hören waren, fühlten sich heimelig an, schließlich war ich es gewohnt, nie alleine zu sein.

Brianna strich den Stoff ihres Nachthemdes glatt, schaute einen Moment lang aus einem der Fenster und schlug anschließend die Decke ihres Bettes zurück. Die leisen Geräusche von vor den Shoji ließ sie anschließend dorthin zurückkehren. Im durch die geöffneten Paneele entstandenen Durchgang blieb sie stehen und schaute zu Rhiann, die nun auch heraufgekommen war.
"Fertig soweit?", fragte sie sie mit einem leichten Lächeln und fühlte kurz nach, ob auch alles in Ordnung war. Soweit sie es beurteilen konnte, schien dem so zu sein. "Ich gehe auch noch mal runter, um mich zu waschen. Leg dich ruhig schon hin." Nicht, dass sie dachte, Rhiann würde dies nicht tun und auf sie warten.
Also ging sie noch einmal nach unten, suchte erneut das Bad auf und machte sich an eine kleine Katzenwäsche. Danach fühlte sie sich erfrischt und gleichzeitig bereit zum Schlafen. Nur kurz schaute sie noch einmal in der Küche vorbei, um auf das kleine Tablett ein zwei Gläser und einen Krug mit Wasser zu stellen. Eines der Gläser füllte sie für sich selbst mit Wasser und nahm alles mit nach oben. Das Tablett platzierte sie nah der Abtrennung bei Rhianns Schlafplatz. "Falls du Durst bekommst", sagte sie leise und nahm sich dann ihr Glas, das sie auf ihrem Nachttisch abstellen würde. "Dann wünsche ich dir eine gute Nacht."

Ich hob den Blick zu Brianna, als sie in mein Blickfeld trat, und nickte mit einem leichten Lächeln. "Ja. Ist gut", antwortete ich dann auf die Frage und die anschließende Aufforderung. Tatsächlich spürte ich die Müdigkeit in meinem Körper, auch wenn der heutige Tag ja nicht ganz so anstrengend gewesen war. Aber die vielen Tage davor forderten eben auch noch ihren Tribut.
Nachdem ich meine Sachen abgelegt hatte und soweit alles fertig zum Schlafen war, legte ich mich dann auch auf mein Nachtlager nieder. Es war wirklich bequem und die Wärme störte mich natürlich nicht, im Gegenteil. Dafür dass das Gefühl der Fremde immer noch in mir saß, fühlte ich mich so wohl, wie es vermutlich ging. Natürlich konnte ich mich nicht ganz wie Zuhause fühlen, das erwartete ich auch nicht. Aber ich musste mir wieder vor Augen führen, dass sich auch Zuhause nicht mehr wie früher angefühlt hatte - und es auch nicht mehr würde. Ich vermisste es trotzdem.
Ich sah noch einmal auf, als ich die Schritte hörte, die bei dem Durchgang inne hielten, und Briannas Worte, als sie ein Tablett abstellte. Wieder nickte ich leicht. "Danke. Gute Nacht", antwortete ich leise und legte mich wieder zum Schlafen hin.
Wie ich erwartet hatte, kam ich noch nicht so schnell zur Ruhe, viel zu viele Gedanken schwirrten mir durch den Kopf, von den Eindrücken, die ich erlebt hatte. Und die Gedanken, die ich nicht los wurde.
Doch müde war ich auch, und schließlich gelang es mir doch, einzuschlafen. Vermutlich würde ich wegen der ungewohnten Umgebung und der Geräusche eher früh wach werden, doch dieses Mal schlief ich immerhin die Nacht ansonsten mehr oder weniger durch.