"Yoyoyo, Zai-rrrrr", trällerte Kirin und zog das r mit eingerollter Zunge so richtig schön in die Länge, während sie hereinkam und mit der Energie einer zugedröhnten Besoffenen und zwei Kindern auf Zucker durch den Flur und zurück ins Wohnzimmer stapfte. Im Vergleich dazu folgte Arrow ihr so lautlos wie eine Eule - und mit Augen einer solchen -, immer noch darauf bedacht, das hart erarbeitete Gut nicht zu verschütten. Ehrlicherweise hatte er nicht mal vor, es zu trinken. Aber seine Aufgabe nahm er sehr, sehr ernst.
"Ya, Zairilein!" Kirin fiel neben dem Heiler aufs Sofa gegen die Lehne, sodass sie sich mit dem Kopf über ihn beugen konnte. "Wir haben kein Bier, aber Wein!"
Arrow platzierte das gefüllte Glas auf dem Wohnzimmertisch.
Die Geflügelte schnaufte etwas verärgert, aber gleichzeitig auch belustigt. "Der pennt", verkündete sie und kniff ihm in die Wange.
"Echt jetzt?"
Sie nickte, wedelte mit der Hand vor Zaires Gesicht herum, als würde das bei geschlossenen Augen irgendeinen Sinn haben, und wuschelte ihm dann durch die Haare. So wirklich wach wurde der junge Mann nicht davon. Arrow, der schon eben auf dem Sofa gemerkt hatte, wie sein Energielevel absank, und deshalb auf die Kiseru aufmerksam geworden war, konnte ihm da nachfühlen. "Lass ihn. Er hat ein ganzes Glas Schnaps getrunken."
Kirin zog die Hand zurück, rückte aber nicht ab und schaute zu ihm hoch. "Meeh, aber zu zweit ist blöd. Sag nicht, du willst aufhör'n!"
Er lächelte noch, ließ sich von ihr aber nicht ins Gewissen reden. "Du kannst den Wein trinken." Er setzte sich neben ihr auf das Sofa und angelte nach der Decke, sodass er sie wieder über den Schoß ziehen konnte. Hier drinnen war es zwar immer noch schön warm, aber durch den kühlen Treppenflur hatte er sich nicht sofort wieder aufgewärmt.
"Langweiler. Du bist jünger als ich und benimmst dich wie der alte Vince." Sie nahm sich aber trotzdem das Weinglas und nippte daran. "Mmmh! Viel besser als der Schnaps. Moah, nächste Mal bring ich Adelaid einen Blumenstrauß mit. Die ist ja Zucker. Wieso hat Rikka sie mir nie vorgestellt! Was meinst du, was die früher für ein Feger war... Auch was?"
Sie hielt Arrow das Glas hin, und um des lieben Friedens Willen probierte er davon. Dadurch, dass die Nachbarn ihnen lieblichen Wein gegeben hatten, harmonierte er besser als der Schnaps mit dem Spaßkrautrauchgeschmack im Mund und ging gut runter. Trotzdem hätte er gerade am liebsten irgendwelche salzigen Cracker, Jerky oder kaltes Hühnchenfleisch in sich hineingestopft, weshalb Kirin den Rest für sich alleine hatte.
Woher sie ihre Energie nahm, seit die Pfeife aus war, wussten nur die Kami; Kirin blubberte eine ganze Weile lang vor sich hin und erzählte anfangs etwas von anderen Erlebnissen mit Spaßkraut. Dann gab sie ihr Fachwissen als Weinsommelière zum Besten und anschließend erklärte sie Arrow noch, warum sie der Überzeugung war, dass Zaire und er bestimmt gut als beste Freunde zusammengingen.
Arrow hörte ihr anfangs noch halbwegs aufmerksam zu und es ging nicht so viel an ihm vorbei, weil sie laut und mit großem Elan erzählte. Aber keiner machte die Pfeife wieder an, sodass der abfallende Spaßkrautpegel und der ansteigende Alkoholpegel nach und nach auch bei ihr dafür sorgte, dass sie ruhiger wurde. Leiser und friedlicher erzählte. Und er deshalb immer träger wurde, bis ihr Geplapper wie eine Gute-Nacht-Geschichte ihn einlullte und in Richtung Schlaf lockte.
"Oh!"
Er fuhr zusammen, als sie sich plötzlich mit einem lauten Ausruf aufsetzte. Sie stand auf.
"Scheissse-rrow! Dean wartet doch auf mich, ey!" Sie kam auf die Beine. Das "Weinglas" war leer. "Oh, Kacke, wieso sagt mir denn keiner was!"
Arrow kam nicht so schnell mit, wie sie die Keksschachtel in ihre Tasche stopfte, sie sich umhängte und dann automatisch noch weiteres Zeug vom Tisch schnappte und zur Küchenzeile brachte.
"Dean?" Arrow wischte sich die Haare aus der Stirn und rieb sich über die Augen.
"Jaah... Hab ihm gesagt, ich komm später noch. Scheiße, voll vergessen."
Arrows Frage war damit nicht beantwortet, aber er brauchte ihr offenbar nicht vorzuschlagen, einfach hierzubleiben und Ruhe zu geben. Er war sowieso nur noch halb wach und bekam daher nicht wirklich mit, dass sie in der Küche noch drei Gläser Wasser hinunterstürzte. Danach kam sie noch mal zum Sofa und umarmte ihn ungefragt. "Danke. War schön mideuch. Gib Zaire 'n Bussi von mir, ja? Guter Junge, hab dich lieb." Sie wuschelte ihm durch die Haare und hastete schwankend zum Flur - machte Kehrt und schnappte sich ihren Mantel. "Schüssdann!"
Und schon war sie weg.
Und dann kehrte kontrastreiche Stille ein. Sie war so vollkommen, warm zwar und heimelig mit Feuer knisternd, aber nach Arrows Empfinden plötzlich zu präsent. Um dem Gefühl zu entgehen, kam er einem anderen nach, denn er bekam gerade Durst. Seine Bewegungen waren fahrig und nun, wo auch bei ihm der Rausch deutlich nachließ, machte sein Körper ihm auch klar, dass er völlig übermüdet war. Er trank etwas Wasser und wandte sich anschließend wieder dem Sofa zu. Aber als ihm Zaire wieder in den Sinn kam, weil auch sein Blick auf ihn fiel, machte er einen Umweg am Ofen vorbei, der neu gefüttert wurde. Und dann schleppte er sich sogar noch ins Gästezimmer, um die Decke zu holen.
Sein Harmoniebedürfnis war immer noch sehr groß und neben der aufkeimenden Fürsorge eins der letzten Überbleibsel von der Spaßkraut-Euphorie. Er nahm die Kiseru und legte sie weg, dann zog und schob er Zaires Oberkörper etwas umständlich und mangels zweiter Hand auch etwas unsanfter als geplant von der Rückenlehne runter aufs Polster. Milde kritisch beäugte er sein verletztes Bein und hob beide ebenfalls aufs Sofa. Dann nahm er die Decke, die dicker war als die Wolldecke vom Sofa, und zog sie über ihn. Sein Körper schaltete in den Autopiloten; er ging erneut zur Spüle und füllte das Glas für Zaire neu mit Wasser. Er stellte es gut sichtbar auf Höhe von dessen Brust auf den Wohnzimmertisch, den Kirin ja schön nah ans Sofa geschoben hatte. Nur an einen Eimer oder eine Schüssel, falls jemand kotzen musste, dachte er nicht.
Aber er legte das Hemd ebenfalls auf den Tisch - nicht, dass es ohne unter der Decke viel kälter sein dürfte. Und dann kauerte er sich selbst wieder auf das Sofa. Dafür gab es mehrere Gründe. Zum einen war es gemütlich. Dann war es näher beim warmen Ofen. Es war halbwegs genug Platz, da er sowieso mit angezogenen Beinen dalag, sodass höchstens Zaires und seine Füße und Unterschenkel sich in die Quere kommen könnten. Zaire war nicht so weit weg, falls er Hilfe brauchte. Oder falls Arrow Hilfe brauchte. Wie auch immer. Außerdem war er so nicht alleine; noch immer spürte, hörte er die Atemzüge des anderen überdeutlich. Und während er das Sofa ohnehin als seinen angestammten, da ursprünglichen Platz betrachtete, hätte er weder die Kraft, noch mit einem Arm die Möglichkeit gehabt, Zaire hinüber ins Gästezimmer zu schleppen. Wo es, wie gesagt, weiter vom Ofen weg war.
Vermutlich war nichts davon ein aktiver Gedanke. Es ergab sich einfach so, sodass er schließlich und endlich den Kopf auf die Armlehne sinken ließ, die Wolldecke noch einmal zurechtzog und abermals binnen weniger Minuten einfach einschlief. Wie lange das Spaßkraut noch benötigen würde, um in seiner Wirkung so weit nachzulassen, dass er wieder Schmerzen verspüren würde, stand zum Glück noch in den Sternen und wurde von Arrow auch glücklicherweise nicht hinterfragt.