Wer Wind sät, wird Feuer ernten

Der Laut, der auf Zaires Behauptung folgte, ließ leise Abfälligkeit mitschwingen, und er warf Zaire noch einen Blick aus dem Augenwinkel zu. "Zusammenzucken gehörte eindeutig nicht dazu", sagte er, unterließ es jedoch ebenfalls, weiter auf dem Thema herumzureiten. Solange Zaire ihn nicht dazu zwang, sich damit zu befassen, würde er es auch nicht tun. Allerdings bewegte der Heiler sich nicht zum ersten Mal knapp an der Grenze. Es war nicht so, als würde Arrow freiwillig mit gebrochenem Arm rumlaufen, wenn jemand ihn für ihn heilen könnte, doch er fühlte sich einfach nicht wohl dabei, wenn es auf Kosten der Person erfolgte. Er hatte wirklich schon schlimmere Verletzungen überlebt.
"Wir haben immer noch Suppe. Und Brot", antwortete er und wollte schon die Decke wieder über sich ziehen. Der Tee blieb erst mal auf dem Tisch stehen. Aber dafür schob er nun doch den Hosenbund ein Stück weiter über den Hüftknochen herunter, um sich auch diese Baustelle noch einmal zu betrachten. Dank fehlender Fettreserven und der sehr klaren Körperstruktur hob der Knochen sich hervor und die Haut spannte sich dicht und glatt darüber - was in diesem Fall allerdings auch dafür gesorgt hatte, dass da nicht viel Puffer gewesen war. Die matschige Erde hatte den größten Schaden verhindert. Auch hier war der "blaue" Fleck mittlerweile außerdem zu einem ziemlich widerlichen Gelbgrün geworden, das Richtung Oberschenkel und Gesäß verblasste. Er unterdrückte ein Seufzen und schob zuletzt noch die Schulter durch den Ausschnitt, um auch sie einer Musterung zu unterziehen.
Die Prellung dort war noch am dunkelsten. Der Trapezmuskel war immer noch steinhart. Er stützte den Handballen einen Moment lang gegen das ebenfalls gut sichtbare Schlüsselbein und massierte Schulter und Nacken mit den Fingerspitzen. So ein Wärmekissen wäre es doch noch.
Alles in Allem war er nicht sonderlich zufrieden mit sich selbst. Aber ihm war zu kalt und er war immer noch zu erschöpft und sein Körper schmerzte, um darüber zu nörgeln, selbst innerlich. Also zog er die Decke endlich wieder über sich.

Arrow sagte nichts mehr. Er drehte nur den Kopf und spähte zur Küchenzeile hinüber, um sicherzugehen, dass er den Suppentopf wieder vom Herd heruntergenommen hatte. Sonst würde das ganze Zeug zerkochen, verdunsten und dann einbrennen, während sie schliefen. Und das würde nicht nur stinken, sondern Zaire auch nur noch Brot übriglassen.
Er spürte, dass er gerade schlechte Laune bekam, und er konnte nicht so genau sagen, woran es lag. Sein Arm war wieder gerichtet, niemand nervte und würde ihn vom Weiterschlafen abhalten. Er hatte gegessen, getrunken, das Sofa war groß genug für Zaire und ihn, und er musste nicht in zwei Stunden wieder los und arbeiten.
Wären die Schmerzen nicht, wäre doch alles geradezu perfekt.
Jaah, genau...
"Kann ja den anderen nehmen", gab er auf Zaires undeutliches Gemurmel zurück, warf auch ihm bzw. dem Deckenkokon noch einen Blick zu - und blieb dann in den nächsten Minuten so auf dem Sofa hocken. Er hatte den Kopf in den Nacken gegen die Rückenlehne zurückgelehnt und starrte an die Decke. Sein Brustkorb war durch die Körperhaltung geweitet, was zwar auch nicht schmerzlos blieb, aber angenehmer war, als in sich zusammenzusacken. Und so atmete er eine Weile lang einfach nur. Bis er merkte, dass seine Erschöpfung stärker war als die schlechte Laune. Tatsächlich döste er kurz weg und ließ sich langsam an der Lehne entlang zurück gen Armstütze sinken. Die Beine eng angezogen wie eine eingerollte Katze, den Oberkörper mehr auf den Rücken gedreht, um dem scheiß Arm keine Möglichkeit zu lassen, unkontrolliert auf das Sofa runterzurutschen und da wieder Sperenzchen zu machen.
Und dann war er erneut weg. Er schlief in der ersten halben Stunde sehr tief. Eine Angewohnheit des Körpers, um möglichst schnell weiterhin Kraft zu schöpfen. Erlerntes Verhalten, da häufiger benötigt, welches ihm am besten weiterhalf.
Danach war sein Schlaf flacher, was sicher auch an der ungewohnten Situation lag; Arrow hatte sich bisher noch nie ein Sofa mit jemandem geteilt. Außerdem sandte das Tageslicht entsprechende Signale an sein Hirn - und, wer hätte es gedacht, die Schmerzen waren zu stark für langen erholsamen Schlaf. Somit wurde er in den nächsten Stunden häufiger ganz oder fast wach, und als es ihm zu bunt wurde, warf er sich doch wieder was von seinem Schmerzmittel ein, nur um anschließend darauf zu warten, dass die Wehwehchen nachließen.
Fast war er wieder weggedämmert, aber Zaire riss ihn wieder in die Realität, als er nach Luft schnappte und Arrow daraufhin zusammenzuckte. Er schlug die Augen auf und neigte den Kopf, sodass er an der Decke vorbei Richtung der Unförmigkeit der anderen Decke sehen konnte. Er war sich fast sicher, dass es nicht Zaires erster Alptraum war. Arrow beneidete ihn nicht. Sicher würde er sich gerne öfter an angenehme Träume erinnern, aber generell träumte er selten so, dass er sich daran erinnerte. Oder aus dem Schlaf fuhr.
Er setzte sich wortlos auf, leerte seine Teetasse und nahm die Kanne an sich, um aufzustehen und sie zum Erwärmen wieder auf den Herd zu stellen. Noch immer fühlte er sich nicht besonders gut. Die Kopfschmerzen waren weg, ihm war nicht mehr ganz so kalt bzw. unwohl dabei, die Decke wegzuschieben. Aber sein Körper regenerierte sich noch immer. Ohne zu fragen, zog er auch die Suppe wieder auf den Herd - und legte Holzscheite nach.
Sein Hunger hielt sich in Grenzen. Generell war er kein guter Esser. Zum einen brauchte er nicht viel, zum anderen verlor er schnell seinen Appetit. Aber sein Körper war geschwächt, also würde er sich auch noch etwas hineinzwingen.

Es blieb auch von Zaires Seite aus zunächst still, weshalb Arrow sich nicht sicher war, ob er nur kurz hochgeschreckt und wieder eingeschlafen war, oder ob er wach lag. Es spielte keine große Rolle für ihn, da die Suppe noch brauchte und er sich einfach erdreistet hätte, ihn zu wecken, hätte er sich gemeldet, bis alles so weit fertig war.
Zaire war am Ende aber doch wach, denn er fragte nach der Zeit.
Arrows Blick huschte unwillkürlich zum nächsten Fenster. Ein paar Regentropfen hingen noch an der Scheibe, aber dahinter war der Himmel nicht komplett wolkenverhangen, sondern hier und dort zeigte er Blau. Tieferwerdendes Blau, umsäumt von Wolken, über die sich errötendes Licht legte.
"Es dämmert. Halb fünf?" Eine vage und doch recht bestimmte Zeitangabe. Feierabendzeit.
Er rührte langsam in der Suppe herum und stellte dabei fest, dass sein linker Arm diese Tätigkeit schon gar nicht mehr so ungewohnt fand, obwohl er ihn erst seit anderthalb Tagen gegen den rechten ausgetauscht hatte. Andererseits ... war es ja nicht das erste Mal, dass Links alles übernehmen musste. Zur Not konnte er auch Kazeneko mit links benutzen. Aber das hatte er auch aktiv geübt. Suppe Umrühren nicht. War wesentlich simpler, und trotzdem...
Je länger er darüber nachdachte, desto merkwürdiger begann sich die Bewegung anzufühlen. Er ließ den Kochlöffel los.
"Suppe ist gleich heiß. Hab noch Tee hier", sagte er nach einer kurzen Weile. Die Beschäftigung, egal wie einfach, lenkte ihn von den Schmerzen und der Müdigkeit ab.

Nachdem er es gesagt hatte, spähte Arrow doch lieber noch mal in die Teekanne, nur um festzustellen, dass sie tatsächlich nicht so viel davon getrunken hatten, wie sie hätten tun können. Mochte daran liegen, dass Zaire lieber Zeit mit Schlafen verbracht hatte und Arrow nicht durstig war und auch etwas Wasser getrunken hatte.
Sein Blick folgte Zaire kurz, als dieser sich vom Sofa hochgequält hatte, das Hemd nahm und den Weg Richtung Gästezimmer antrat. Da er nicht davon ausging, dass er sich plötzlich zierte, sich vor seinen Augen anzuziehen, musste es einen Grund geben, wieso er dorthin ging. Weiterschlafen war es nicht, da er sonst Nahrung und Tee abgelehnt hätte. Also ... wollte er vielleicht sein Bein noch mal ansehen und/oder Medikamente nehmen, die Arrow nicht zur Verfügung stellen konnte. Seine Gedanken schwenkten zu dem Fläschchen, das Zaire ausschließlich für sich selbst verwendet hatte.
Und zu der Tatsache, wie er den Goldschmuck angestarrt hatte. Und wie vehement er Geld ablehnte. Wie gehetzt er gewirkt hatte. Und dass er zweimal aus dem Schlaf gefahren war.
Arrow war nur zur Hälfte Windgeist, wie man ihm schon sein ganzes Leben lang immer wieder vorkaute. Entweder, um zu betonen, dass das zu wenig war, oder um zu betonen, dass er zu sehr nach der Mutter kam. Er gehörte weder auf die eine, noch die andere Seite und wollte auch beides nicht. Gleichzeitig bedeutete dies und die Tatsache, dass seine Mutter, nach der er zumindest mehr kam, ihn früh bei seinem Vater zurückgelassen hatte, hatten dafür gesorgt, dass er nie einen so intensiven Draht zu seinen Wurzeln bekommen hatte, wie man ihn ihm hätte aneignen können. Lange Rede, kurzer Sinn: Vielleicht war dies der Grund, weshalb er kein Gespür dafür hatte, dass in Zaire etwas schlummerte, das ihm ähnlich war.
Doch es bedeutete nicht, dass ihm nichts aufgefallen war. Er konnte es nur nicht zuordnen. Hätte er mehr davon gewusst, hätte er schon lange nachgefragt. Aber so hielt er sich noch immer zurück, um sich nicht in Zaires Angelegenheiten einzumischen.
Stattdessen kramte er zwei frische Suppenschüsseln hervor, weil er zu faul war, die anderen sauberzumachen, und das noch einhändig. Als Zaire zurückkehrte, dampfte der Topf mit der Suppe ordentlich. Sie war heiß genug.
"Willst du am Tisch essen oder lieber riskieren, dich mit Suppe vollzusauen?" Und die Decke. Und das Sofa.

Da Arrow sowieso nur eine Hand zur Verfügung hatte, war er so frei, nicht noch hübsch den Tisch zu decken und Zaires Kräuterhäufchen zur Seite zu schieben. Wahrscheinlich hätte der andere ihn eh nur umgebracht, wenn er die Sachen anrührte. Nun ja, oder etwas weniger Schlimmes, aber ähnlich Aussagekräftiges. Er wusch die Suppenkelle kurz unter dem Wasser ab, ließ den Kochlöffel achtlos in die Spüle fallen und schöpfte dann aus dem Topf Suppe direkt in die Teller. Ohne Murren ging er zweimal zum Tisch, nachdem er auch Löffel in den Schüsseln platziert und Zaire Zeit gehabt hatte, die Tischplatte ein wenig freizuräumen. Auch der Rest vom Brotlaib landete auf dem Tisch.
Insgesamt ging er vier Mal, da er auch die Tassen holte - diese gleichzeitig - und den Tee selbst. Jede Bewegung des Oberkörpers wurde mit Sorgfalt ausgeführt, aber bis auf die Beiden Male Vorbeugen zum Wohnzimmertisch runter ging es von den Schmerzen her nun auch so weit.
Er ließ sich auf dem Stuhl nieder, vor dem sich genügend freier Platz befand und wo er den zweiten Teller abgestellt hatte. Er hielt sich gerade. Allgemein war seine Körperhaltung fast wiederhergestellt und ein krasser Kontrast zu dem entspannt und wie ein bequemer Sitzsack auf dem Sofa lümmelnden zugedröhnten Arrow von gestern Abend.
Anerzogen. Eingebläut. Und ein Teil der Abwehr. Gleichzeitig konnte man nicht sagen, dass er ablehnend, abweisend oder überhaupt unentspannt wirkte, wie er dort saß. Die Körperhaltung war nicht nur anerzogen. Sie war geradezu wünschenswert gesund. Außerdem beugte es den Schmerzen im Brustkorb vor, wenn er gerade saß.
"Es ist noch ein guter Teller voll da. Du kannst die Suppe aufessen, wenn du willst, ich brauch nicht mehr." Er verstummte kurz und griff nach dem Löffel. Dann warf er Zaire einen Blick zu. "Wirklich. Ich halte mich nicht höflich zurück", bevor der Heiler auf die Idee kam, ihm zu sagen, dass er immer noch Patient war und genug essen sollte, um wieder zu Kräften zu kommen. Oder was auch immer. Vielleicht hätte Zaire auch gar nichts dazu sagen wollen.

Er beschwerte sich nicht über den Mangel an Hilfe. Er hatte Zaires Humpelmarathon zum Gästezimmer mit angesehen, das Bein nicht vergessen, hätte alles auch mit einem Arm dreimal so schnell erledigt. Und auch, wenn er immer noch erschöpft war, war er froh um die simple Betätigung. Sie lenkte ihn ab und ermöglichte es ihm, auszutesten, was ging und was nicht.
Leider sah er sich noch nicht so wirklich morgen hochkonzentriert auf der Arbeit hocken und mit links seinen Bericht verfassen. Und was noch für ihn anfiele, solange er nicht einsatzfähig war, denn das ging mit einem Arm nicht.
Er aß wesentlich langsamer als Zaire, sowohl anfangs, als auch danach. Schnell zu essen vertrug er nicht, das Essen war zu heiß, er hatte keinen Hunger, er musste mit links essen und so weiter. Dementsprechend war sein Teller noch gut zur Hälfte gefüllt, als Zaire sich schon zurücklehnte. Kein Kommentar zu seiner Bemerkung; kein Kommentar zu seiner gehobenen Augenbraue, somit hatte Stille angehalten, bis Zaire nun eine Frage stellte.
Arrow sah auf und legte den Löffel im Teller ab, um sich etwas umständlich noch ein kleines Stück Brot abzureißen. "Mich stört es überhaupt nicht, ist nicht meine Wohnung." Ein angedeutetes Schulterzucken auf der linken Seite. Zaires Plan, schon vor ein paar Stunden ausgezogen zu sein, alternativ am Abend oder am nächsten Tag woanders einzuziehen, schien hinfällig zu sein, und ehrlich gesagt sah Arrow ihn da auch nicht wirklich. "Meine Kollegin wird vor dem Wochenende nicht zurück sein, ich schätze, du hast noch mindestens drei Tage." Sein Blick glitt zur Seite zu dem kleinen Säckchen, in dem sich noch eine recht stolze Anzahl Silbermünzen und die beiden Steine befanden. Er zögerte kurz, es anzusprechen, da er Zaires Entscheidung, das Geld nicht anzunehmen, respektierte und ihm auch gar nicht reinzureden beabsichtigte. Nur:
"Wir können was davon verwenden, um die Kosten für Farasha zu decken. Und um Lebensmittel zu kaufen."
Er erläuterte nicht, dass er Zaire sich in der Wohnung seiner Kollegin nicht sich selbst überlassen würde.

Er wartete nicht ungeduldig auf eine Antwort, während er von dem Brotstück abbiss. Allerdings hatte er nicht nur seine Worte mit Bedacht gewählt, sondern war sich relativ sicher, dass Zaire ihm hier nicht wieder so ablehnend und schneidend in die Parade fahren würde. Er hatte am gestrigen Abend durchaus den Eindruck gewonnen, dass es dem jungen Mann um den Besitz an dem Geld ging. Darum, sich nicht bereichern zu wollen. Aber es war keine Bereicherung, wenn man das Geld direkt für sinnvolle Dinge hergab und es sich gar nicht erst aneignete, oder? Essen musste jeder, und das Pferd fände es auch ziemlich scheiße, wenn es plötzlich verpfändet wurde oder Zaire sich halb hinüber mit ihm in die Wildnis schleppte, weil er kein Geld für eine Bleibe mit gemütlichem Stroh, viel Heu und geschützt vor Wind und Regen übrig hatte.
Und seine Kalkulation ging tatsächlich auf. Ob es nun aus den Gründen war, die sein Hirn sich zusammenpuzzlete, oder ob Zaire andere oder einfach gar keine hatte, mochte erst einmal dahinstehen.
"Okay." Auch er sprach nicht mit vollem Mund. Legte das Stück Brot ab und nahm den Löffel wieder auf. "Zur Not haben wir ja noch ein bisschen Spaßkraut." Einen geschlagenen Augenblick lang verzog Arrow keine Miene und wirkte todernst. Aber dann hob er den Blick in Zaires Gesicht und sein Mundwinkel zuckte. Es war ein Scherz.
"Irgendwelche Vorlieben oder Abneigungen, was Essen angeht?"
Noch ein Anflug einer Emotion huschte über den Zug um seinen Mund und die Nasenflügel herum, aber er hatte schon den Kopf gesenkt und sich noch einen Löffel voll Suppe in den Mund geschoben.

- Ein Scherz, der von Zaire nicht gewürdigt wurde und daher noch schneller als nur schnell wieder in der Versenkung verschwand. Wieder warf Arrow einen Blick in sein Gesicht, als er erwähnte, dass er Süßes mochte. Dies war eine Tatsache, die er selbst selten kundtat oder zugab, wenn man ihn danach fragte. Aber auch er mochte Süßes. Ganz besonders hatten es ihm Mochi angetan oder alles, was nah damit verwandt war. Was die kjubikanische Koch- und Zubereitungskunst anbelangte ... so war dies eins der Dinge, die Arrow tatsächlich vermisste. Er war schon froh, auf dem Markt genug Händler und Verkäufer gefunden zu haben, die die eine oder andere Speise von der Feuerinsel anboten oder entsprechende Zutaten dafür verkauften.
Er nickte und aß dann weiter. Wenn er nicht kochen musste, würde er sich darüber nicht beschweren. Er kochte dauernd für sich selbst, also konnte er es und war es gewohnt, Gerichte herzustellen, von denen er sich auch mal zwei oder drei Tage lang ernähren konnte. Aber er tat es eher aus Notwendigkeit und weil es günstiger war, als ständig essen zu gehen - was er eh nicht gern tat - oder fertige Gerichte zu kaufen und mit nach Hause zu nehmen. Außerdem wusste er dann, was er hineintat und wie gesund oder ungesund es war. Er hatte nichts dagegen, das zur Abwechslung anderen zu überlassen.
Auch er beendete nun endlich seine Mahlzeit, wischte die Suppenreste mit dem übrigen Stück Brot neben seinem Teller auf und lehnte sich anschließend zurück, die Teetasse zu sich dabei ziehend. Das Essen hatte nun auch den letzten Rest Kälte in seinen Gliedern vertrieben, doch noch immer war die Vorstellung, sich gleich wieder unter die warme Wolldecke zu legen, viel verlockender, als aufzustehen und raus an die kühle Abendluft zu gehen. Noch mal Holz nachlegen und einheizen. Dann schlafen. Vielleicht vorher noch mal ein bisschen waschen. Perfekt.
Es wurde langsam wieder dunkler hier drinnen, sodass der Leuchtstein beim Sofa zur Lichtquelle wurde. "Willst du die Steine wirklich nicht haben? Kannst du damit nichts anfangen? Du bist Heiler." Ein für Heiler normalerweise höchst brauchbarer Stein war bei dem Bonus dabei... Aber er stellte seine Frage nicht so unbedarft, wie er schien.

Arrow war sich nicht ganz sicher, ob Zaire gestern Abend gar nicht richtig in den Beutel reingeschaut hatte, um herauszufinden, wie viel von dessen Inhalt er für sich abreifen wollte - oder eben nicht wollte. Er ließ es unkommentiert und beobachtete den jungen Mann dabei, wie er den Beutel zu sich zog und die Steine hervorkramte. Und nein, er war keinesfalls so einfach gestrickt und nicht immer so pragmatisch, wie er nach außen hin wirkte. Nur, weil er wenig diplomtatisch war, selten bohrte oder persönliche Fragen stellte, sich nicht über Politik und Naturwissenschaften ausließ und auch keine vollendeten Debatten über Für und Wider abhielt, hieß es nicht, dass er unaufmerksam oder schlichtweg dumm war. Er behielt es nur häufiger für sich. Es war selten wirklich wichtig, irgendetwas mit dem anzustellen, was er an anderen beobachtete. Oder vielmehr, sie darauf anzusprechen. Wie gesagt, er respektierte Grenzen, solange auch seine Grenzen respektiert wurden.
Zaire hatte sich in der Zwischenzeit Tee eingegossen und auch Arrow trank noch etwas von seinem. Das größte Frösteln war zwar vertrieben, aber seine Fingerspitzen waren immer noch kühl. Genauso seine Füße, aber das würde gleich unter der Decke schon wieder. Er fand, dass der Heiler eine direkte Antwort auf seine Frage ein wenig umschiffte. Vielleicht, weil er ihm damit sagen wollte, dass er dafür keinen großen Schub in seine Heilkünste hineinbringen konnte. Vielleicht aber auch, weil der Sanarid für sie beide genau für nur das gut war und er lieber äußerte, was Arrow damit tun könnte: Kopfweh lindern, indem er mit dem Ding kuschelte. Bzw. sie beide. Es erhärtete seinen Verdacht nicht direkt, es räumte ihn jedoch keinesfalls aus.
"Soll ich ihn für dich ins Feuer tun?", fragte er mit Blick auf den Ignid. Der Stein war aktuell nicht warm, heiß schon gar nicht, sonst hätte er nur den Beutel durchgeschmort oder das Leder beschädigt. "Und den kannst du ja unter ein Kissen tun und drauf schlafen, oder sind deine Kopfschmerzen weg?" Ein Nicken zum Sanariden.

"Ich glaube, da war eine neben dem Ofen beim Holz", gab er zurück. Er leerte seine Teetasse, goss sich noch etwas nach und ließ sie dann stehen, um stattdessen den Feuerstein zu nehmen. Er war zwar nicht warm, aber er fühlte sich auch nicht so kühl wie ein Stein bei einer Berührung auf Zimmertemperatur an. Nichts ungewöhnliches für diese Dinger. Er drehte ihn einen Moment lang zwischen den Fingern und blickte darauf hinunter, ein wenig gedankenverloren vielleicht. Sein Vater hatte von diesen Steinen eine ganze Sammlung gehabt, obwohl er sie gar nicht wirklich brauchte.
Er erhob sich, darauf bedacht, sich dabei nicht vorzubeugen, und trat zurück zum Ofen. Die Klappe öffnete er, schaute vorsichtshalber aber wirklich noch mal nach, ob Rikka über eine Ofenzange verfügte und nicht nur über einen Kehrer, um die Asche zu entfernen. Sie war groß genug, um damit den Ignid zu greifen, also schob Arrow noch ein Scheit hinein und platzierte ihn dann davor.
Die wenigen Meter waren nicht weiter anstrengend, bis auf die Bewegung des Oberkörpers, die natürlich doch irgendwie nötig war. Es machte ihm also nichts aus, Zaire diesen Gefallen zu tun, der sich mit seinem kaputten Bein ja irgendwann noch zum Sofa oder ins Gästezimmer schleppen müsste und sicher damit schon genug am Hut hatte.
"Nicht wirklich, wieso?", gab er bei Zaires Frage zurück und kam wieder zum Tisch. Seinen Bewegungen haftete nicht die Leichtigkeit an, mit der Spaßkraut-Arrow am vergangenen Abend durch den Raum getanzt war, aber die fast lautlose Geschmeidigkeit war wenigstens in den Beinen so halbwegs wieder hergestellt.
Zugegebenermaßen fand er nicht viel in Belletristik und Poesie. Er hatte eine Handvoll solcher Bücher zu Hause rumstehen - und sie auch gelesen -, aber in seinem Besitz befand sich eher geschichtliches, Zeug über die Inseln, oder andere Fachliteratur. Eher Nachschlagewerke. Er hatte keine Zeit zum Lesen und auch kein Interesse daran. Vielleicht, weil er nicht sehr fantasievoll war, es in seiner Kindheit und im Jugendalter nie getan hatte und es auch nicht gefördert worden war. Er zeichnete. Dinge, Wesen und Leute, die er gesehen hatte. Aber das wussten nicht viele über ihn.

Auch der leichte Luftzug, der meist durch seine Haarsträhnen tanzte oder seine Ärmel in Bewegung versetzte, am Kragen entlangstrich und eigentlich nur in geschlossenen Räumen auffiel, wo eben kein Wind ging, war wieder etwas deutlicher geworden. Nicht stärker, nur lebendiger. Bei starker Erschöpfung war er kraftlos. Wenn Arrow schlief oder bewusstlos war, ruhte auch er. Er war ein Indiz dafür, dass er auf dem Weg der Besserung war. Zumindest, was sein Wohlbefinden anbelangte. Todmüde war er immer noch.
"Ich habe Bücher. Ich habe auch Romane", stellte er klar und lupfte die linke Augenbraue, während sein Blick sich auf Zaire richtete. "Aber ja, tausch lieber mit wem anders, wenn du willst, dass dein Tauschangebot innerhalb des nächsten Jahres gelesen wird." Wieder ein Zucken der unverletzten Schulter, da er keinen Wert darauf legte, mit Zaire Bücher zu tauschen. Er lächelte allerdings nicht. Mit einem etwas tieferen Atemzug goss er sich noch etwas Tee nach und verfolgte den Wasserdampf für einen Moment mit den Augen dabei, wie dieser sich über der Oberfläche kräuselte und aufstieg.
"Geht. Tut noch weh, wenn ich ihn bewege." Zaire wollte seine Wehwehchen offenbar engmaschig überwachen, denn er hatte vor ein paar Stunden ja auch schon gefragt, um anschließend seinen Arm zu richten. Diesmal schaute Arrow nicht nach, ob die Blutergüsse noch ein wenig blasser geworden waren. Waren sie zum Einen eh und zum anderen saß er am Esstisch.

"Dachte ich mir schon. Aber ich dachte auch, du tauschst lieber mit jemandem, der es zu schätzen weiß." Denn das tat Arrow vermutlich nicht. Nicht, dass er ein ertauschtes Buch nicht pfleglich behandeln würde, aber ... egal, das Prinzip wurde sicher klar.
Arrow war verschwiegen, was seine Person anbelangte. Allerdings bedeutete es nicht, dass er nicht zu Antworten bereit wäre, wenn man ihn danach fragte. Seine Grenzen lagen bei persönlichen Themen, seiner Familie, Dingen, die seine Vergangenheit ausmachten und ihn noch heute prägten. Weniger bei seinem Wesen. Er beobachtete Zaire dabei, wie er sich sein kleines Buch nahm, das bei dem Scheißwetter unterwegs etwas abbekommen hatte. Er hielt es so, dass Arrow nicht hineinsehen konnte, als er es öffnete. Das hinderte ihn nicht daran, es anzusehen.
Einen Moment lang erwiderte er nichts auf Zaires Bemerkungen. Er legte die schlanken Finger der linken Hand an die Tasse und stützte die Daumenkuppe am Tassenrand ab. "Ich bin immer noch ziemlich müde", versetzte er zunächst und neigte leicht den Kopf. "Du hast doch schon festgestellt, dass meine Verletzungen schneller heilen. Meine Verfassung regeneriert sich recht zügig." Zaire hatte es unter der Plane mitten im Sturm mit einem "huh" kommentiert, Arrow hatte es sogar angesprochen, als es darum ging, den Knochen am besten gleich zu richten, bevor da etwas oberflächlich aneinanderwuchs.
Er machte sich außerdem keine Illusionen darüber, dass Zaire sich nicht seinen Teil dazu dachte. Er hatte nicht nur die schneller heilende Platzwunde gesehen. Er hatte sich dank der gebrochenen Rippen und der Prellungen auch eingehender mit seinem Oberkörper beschäftigt und ihm musste dabei aufgefallen sein, wie glatt und eben die zahlreichen Narben auf seiner Haut waren. Wie bei ihm auch. Man konnte dem Hautgewebe und den Strukturen der Vernarbungen ansehen, dass sie nicht von einem Heiler kosmetisch behandelt worden waren, um weniger aufzufallen, sondern durch die eigenen Regenerationskräfte des Körpers so gut verwachsen waren. Es war nicht auffällig, doch Zaire war ein Heiler und er hatte ein Auge dafür. Andere mochten sich bei Arrows äußeren Erscheinungsbild einfach einbilden, dass er seinen Körper besonders gut pflegte.