Wer Wind sät, wird Feuer ernten

Über seine Lippen zuckte ein kurzes Grinsen – wenn man es so bezeichnen wollte, da der Gesichtsausdruck nichts mit Freude oder Belustigung zu tun hatte, eher Zynismus ausdrückte und auch mit einem leisen stoßweisen Ausatmen, das die Bedeutung von Zaires "tch" teilte, sofort wieder verschwunden war. Ziemlich restlos sogar. Aber er sagte nichts mehr und warf nur einen Blick zum Fenster.
Der kleine und draußen kaum auffällige, in geschlossenen Räumen schon mehr ins Auge fallende Luftzug um ihn herum hatte bei der kurzen Auseinandersetzung etwas zugelegt. Nun beruhigte er sich langsam wieder. Dadurch, dass Arrow schon gut vier Stunden länger wieder wach war als Zaire, war die Erschöpfung wieder ziemlich groß. Vielleicht noch ein weiterer Grund für die schlechte Laune, die vor fünf Minuten noch gar nicht so schlecht gewesen war.
Er seufzte, schob die Decke erneut weg und stand erneut auf. Er durchsuchte einen Wohnzimmerschrank und wurde schnell fündig. Rikka hatte eine Kiseru zur Deko herumstehen, die er jedoch nicht zweckentfremden wollte und stattdessen eine aus einer Schublade herauskramte. "Bring die Zündhölzer mit", sagte er und hielt sie hoch, sofern Zaire nicht sowieso schon längst wusste, dass sein Verhalten nicht ausdrückte, dass er sich ins Gästezimmer verpissen sollte. Er begab sich wieder aufs Sofa.
Was soll’s, er würde früh genug feststellen, ob das hier gerade eine ganz dumme oder die allerbeste Idee war, um nach den beschissenen letzten 24 Stunden ein wenig Frieden zu finden.

Nein, es war nicht Irada-typisch, seinen persönlichen Windzug immer dabeizuhaben, und wenn Zaire sich noch ein paar Tage in Anan oder generell unter Leuten auf Lasaliel aufhielt, würde ihm das auch schnell klarwerden.
Arrow hatte sich in der Zwischenzeit wieder abgeregt. Das hob seine Laune zwar nicht unbedingt, aber es war nun mal nicht sein Ding, anderen Leuten etwas nachzutragen, die beleidigte Leberwurst zu spielen oder sogar nachzutreten. Dafür interessierte ihn die Meinung anderer in der Regel zu wenig. In diesem Fall war es jedoch nicht ganz so einfach, denn es würde sich nichts daran ändern, dass er die Sache mit dem Geld nicht mochte, wie sie lief. Er würde ganz sicher nicht in ein paar Stunden seufzend und schulterzuckend das Gut auf dem Tisch einsammeln. Wenn Zaire es nicht nahm, würden Rikka und ihr Kerl sich darüber freuen.
Als er diesmal zurück aufs Sofa stieg, kreuzte er die Beine zum Schneidersitz, der verriet, dass er diese Sitzposition gewöhnt oder recht beweglich war. Oder beides. Er händigte Zaire die Pfeife aus, ließ es sich aber im Anschluss nicht nehmen, die Decke wieder über den Schoß zu ziehen. Das war immerhin besser als nichts, auch wenn sein Oberkörper sich mindestens genauso über die zusätzliche Wärme gefreut hätte, wie seine Beine.
"Ich hab ein paar mal was davon gehabt", antwortete er und sah Zaires Händen zu. "Ist schon eine Weile her." Er blinzelte und beantwortete dann das, was wohl die eigentliche Frage war: "Es ging mir nie schlecht dabei oder danach."

Zaire war nicht besonders geschickt mit den Zündhölzern. Etwas, das Arrow schon aufgefallen war, als es um den Ofen gegangen war. Nur wirkten seine Hände jetzt nicht mehr fahrig dabei, sodass er sich fragte, was der Grund für die Unsicherheit sein könnte. Er hatte seine eigene Theorie dazu, weshalb er diese Wärme verspürt hatte bei der Heilung durch ihn. Er war wirklich schon von vielen Heilern wieder zusammengeflickt worden, und diese Empfindung hatte er dabei nie gehabt. Weder bei Tano, noch bei Manoah. Vielleicht ein Karon, der nie Zündhölzer benutzte? Auch wenn er der erste wäre, der sich für den Heilerberuf entschieden hatte, den Arrow kennenlernte. Oder mochte es einfach nicht, wie die kleine Flamme mit einem hellen Zischen aus dem Nichts entstand. Manche Leute erschreckten sich bei sowas.
Was immer es war, er fragte nicht. Es gab keinen Grund dafür, nichts hing davon ab. Er ließ ihn in Frieden und Zaire tat das gleiche.
Ein leises Bitzeln und Knistern war zu hören, als der junge Mann mit dem entzündeten Hölzchen das violette Kraut im Kopf der Kiseru ansteckte. Kaum hörbar, aber der Geruch breitete sich dafür trotzdem sofort aus, noch bevor Zaire einen Zug nahm und beim Sprechen den Rauch ausatmete.
Er nahm die lange schlanke Pfeife entgegen und platzierte sie über der Handfläche zwischen den Kuppen von Daumen und Zeige- und Mittelfinger. Ein echtes Zögern gab es nicht, auch wenn er die Kiseru bedächtig anhob und an den Mund führte. Er nahm fürs Erste keinen tiefen Zug daraus, hielt den Rauch aber einen Moment lang in der Lunge und ließ ihn anschließend zwischen den Lippen entweichen. Der Rauch entfaltete einen süßlichen Geschmack im Mund, ähnlich dem Süßholz im Tee. Dafür roch er nicht so furchtbar intensiv wie Gras.
"Würd mich fast nicht wundern, wenn er damit handelt." Er betrachtete den Inhalt im Pfeifenkopf einen Augenblick lang und gab die Kiseru dann zurück an Zaire.

"Wer weiß. Vielleicht kann man sich damit ja auch die Haare färben." Er ließ die Hand langsam auf den Oberschenkel sinken. "Aber ... ich meine wegen der Menge. Und der Qualität."
Er war definitiv kein Kenner, allerdings konnte auch er gutes von weniger gutem Zeug unterscheiden. Dieses hier war, wie Zaire bereits festgestellt hatte, ziemlich ordentlich. Er konnte förmlich fühlen, wie die Wirkstoffe in die Blutbahn übertraten und zum Hirn transportiert wurden. Es würde sicher nicht lange dauern, bis es wirkte. Und dabei hoffentlich hauptsächlich als Schmerzstiller agierte. Er hatte nicht so richtig viel Lust darauf, in Zaires Gegenwart zum Sonnenschein aufzublühen.
Er nahm die Pfeife wieder zurück. Dass Zaire erst das Bein bewegte und das Gesicht verzog, dann ungefragt nach der Teetasse angelte, wurde nicht kommentiert, dafür beobachtet. Es war nicht mehr viel da, er hatte sie fast geleert. Erneut setzte er an und nahm diesmal auch einen tieferen Zug aus der Kiseru, weil der erste ja ganz gut vertragen wurde und er dem wattigen Gefühl gut etwas abverlangen konnte, das in seinem Kopf einsetzte und versprach, die Kopfschmerzen in kürzester Zeit zu übertünchen. Vielleicht sogar ganz verschwinden zu lassen.
Er stieß den Atem erneut zwischen den Lippen hervor, diesmal verwandelte er sich auf halbem Weg jedoch in einen lautlosen Seufzer. Er schloss für einen kurzen Moment die Augen und gab das Ding wieder ab.

Aus Arrows Kehle drang ein Geräusch, das verdächtig nach Belustigung klang. Für ein Lachen reichte es nicht, vielleicht hatte er dafür auch noch nicht oft genug an der Pfeife gezogen. Generell war ein richtiges, echtes Lachen, das noch dazu aus mehr als einer oder zwei Silben bestand, ziemlich selten. Andererseits... Nahm er auch selten Drogen.
Und hier waren sie.
Er tat es Zaire bald nach, als sich die wattige Wärme über seinen Kopf hinaus in den Körper ausbreitete. Er ließ sich mit dem Rücken richtig ins Sofa sinken, rutschte tiefer und legte den Kopf in den Nacken gegen die Lehne. Es fühlte sich anders an als das Empfindungsarme nach den Schmerzmitteln. Eher wie eine Umarmung, die die Schmerzen vertrieb und dafür eine Art der Zufriedenheit auslöste. Keine krasse Euphorie, kein aufregendes Kribbeln. Nur innere Ruhe. Die Gedankengänge verlangsamten sich und zerfransten ein wenig. Die Anspannung löste sich. Dadurch wurde zum ersten Mal so richtig klar, dass Arrow fast ständig unter Spannung stand, aufmerksam war und sogar darauf achtete, wie er sich hielt - oder vielmehr völlig automatisch eine Grenze und eine Art der Mauer um sich herum aufrechterhielt. Das war nicht unbedingt eine Fassade, hinter der er gänzlich anders war. Es bewies eher, dass er komplizierter war, als man meinen könnte.
Sicher hätte man ein halbes oder ein ganzes Buch damit füllen können - es blieb dabei, dass sich etwas an ihm spürbar veränderte. Nicht nur die Art der Ruhe, die er ausstrahlte. Auch seine Körperhaltung war völlig entspannt nach einigen Runden des munteren, dann trägeren Hin- und Hertauschens der Pfeife. Die Schultern leicht eingesunken - etwas, das gegenüber anderen nur dann vorkam, wenn es wirklich, wirklich nicht anders ging -, seine Züge waren gelöster und der Ausdruck der Augen tiefer. Und das lag sicher nicht daran, dass seine Pupillen groß wie die einer spielenden Katze geworden waren.
Mittlerweile verflüchtigte der Rauch sich nicht mehr komplett, er hing in trüben Schlieren schwach sichtbar über ihnen. Arrow ließ den Luftzug wie eines unsichtbares Band und doch schwach schimmerndes Band hindurchtanzen, sodass er verwirbelte und in der Luft Stellen entstanden, die wieder aufklarten. Wie Linien zogen sie sich durch den Rauch.
Die Schmerzen waren weg.
Er stieß einen weiteren Schwall rauchiger Atemluft aus und sandte den Luftzug direkt hinterher, der sich darum herum wand, sodass ein hübscher, dichter Wirbel entstand, der sich nicht so schnell verflüchtigte, weil er ihn zusammenhielt.

Auch aus seinen Gliedern war die Kälte verschwunden und wurde stattdessen durch das warme Gefühl ersetzt, das durch das Spaßkraut verursacht wurde. Die Müdigkeit zerrte an seinem Körper, aber auch sie war nun weniger von tiefer Erschöpfung geprägt, als mehr von der friedlichen Vorstellung, sich zusammenrollen und einfach entspannt einschlafen zu können. Gleichzeitig hatte er es damit nicht mehr so eilig, da er noch irgendwo wusste, dass er diesen Zustand nicht mehr länger genießen konnte, wenn er wegdämmerte.
Die Ruhe, die von Zaire ausgehend herüberschwappte und auch von ihm unterbewusst wohl als heruntergefahrene Anspannung oder schwindende Wand wahrgenommen wurde, suggerierte auch ihm Sicherheit. Vielleicht sogar so etwas wie eine Verbindung zu ihm oder eine Gemeinsamkeit, vor der er nicht zurückweichen musste. Gleichzeitig strahlte Arrow selbst eine gewisse Zugänglichkeit aus, als wäre er genau der Typ, dem man sich anvertrauen konnte, der Erfahrung hatte und immer einen guten Tipp für einen parat.
Das war nicht mal ganz verkehrt. Er gab sich nur nie die Mühe, auf andere wie ein vertrauenswürdiger Ansprechpartner zu wirken.
Seine Augen waren es, die den kleinen Luftstrom durch den Rauch hindurchleiteten – nun, eigentlich war es sein Wille, aber das Gucken half bei der Koordination. Er zeichnete weiter Muster hinein und wirbelte durch den neuen Schwall an Rauch, der von Zaire in die Luft gepustet wurde. Das Ganze hatte etwas Hypnotisches. Wie Fische, die sich still und mit Leichtigkeit durchs Wasser bewegten.
Als Zaire nach einer unbestimmten Zeit die Stille brach, blinzelte er und wandte den Blick nur verzögert zu ihm, während die kleine Brise sofort in sich zusammenfiel und sich wieder auf ihn legte. Dafür, dass der Rest von ihm so tiefenentspannt war, wirkte sein Blick noch recht wach und fokussiert. Wenn man mal von den schwarzen Löchern namens Pupillen absah. Sie hatten die Iriden bis auf einen schmalen hellbraunen Ring ausgefüllt, wodurch sowohl die Regenbogenhaut zwischen dem Schwarz der Pupillen und dem Schwarz der Haarsträhnen und der dichten Wimpern deutlicher schimmerte, als auch der Ausdruck intensiver war.
Zuerst drang nur ein nachdenkliches Summen aus seiner Kehle. Es klang anders als zuvor. Weicher und voller. Oder wärmer. "Das … hab ich doch schon gesagt…?" Auch sein Tonfall hatte sich etwas verändert, was gut und gerne daran liegen konnte, dass die Worte länger brauchten, um über seine Lippen zu kommen.
Er blinzelte erneut langsam. Rollte den Kopf wieder nach vorn, sodass er wieder in den Dunst hinaufsah. "Ich hab nicht immer das bekommen, was mir zusteht… Ich will nicht sein wie die Wichser. Außerdem mag ich Schuld nicht." Er linste aus dem Augenwinkel zu Zaire, der als atmendes Lebewesen überdeutlich von seinem Bewusstsein wahrgenommen wurde. "Hab ich doch gesagt."
Er nahm sich die Pfeife und zog erneut daran. Wahrscheinlich war nicht mehr viel drin. Schade eigentlich.
"Warum kannst du’s nicht annehmen?", fragte er, wobei der Rauch beim Sprechen wabernd aus seinem Mund kam und sich kräuselnd aus seiner Nase entwich. Die Frage kam vermutlich eher vom Thema selbst, als dass er es wirklich wissen musste. Er zerbrach sich nicht den Kopf darüber, das ging gerade gar nicht mehr. Sie war überhaupt nicht mit Ernst behaftet. Eher wirkte sie so, als fragte er Zaire, wie spät es war. Was nicht bedeutete, dass ihn die Antwort nicht interessierte. Es konnte spannend sein, die Zeit zu kennen.

Arrow schnaufte ziemlich un-Arrow-haft, als Zaire zu einer Erwiderung ansetzte. Es war wohl nicht ganz so ersichtlich, ob alles von dem, was er sagte, den ganzen Weg bis in sein Hirn fand, dort verarbeitet und auch richtig verstanden wurde. Zumindest irgendwas kam aber an, denn dem Schnaufen folgten zwei gutturale Laute, die sich durchaus als eine Art Auflachen identifizieren ließen. Der Kehlkopf und sein Adamsapfel bewegten sich dabei unter dem Sarashi, deutlich sichtbar, da er die Kehle überstreckte. An den Stellen, wo sie nicht bedeckt war, konnte man dadurch besonders gut erkennen, wie dicht und fein die Haut sich über das Gewebe darunter spannte. Oder man könnte, wenn die Lichtverhältnisse besser wären.
"Du bist ... ja ein richtig harter Kerl, du trotziger Erwartungenstrafer", sagte er. Sein Amüsement ebbte ab, er blinzelte träge, wandte den Blick nun aber nicht wieder Zaire zu. "Ich erwarte nichts von dir. Ich habe auch Prinzipien." Er schluckte. Wieder hüpfte sein Kehlkopf unter dem Sarashi entlang. Er sprach erst, nachdem ein paar Sekunden verstrichen waren und fragte sich währenddessen, was es noch gleich gewesen war, was er noch gesagt hatte? Scheinbar war nur das Wichtige hängen geblieben:
"Ich werd es nicht nehmen." Was genauso gut zu dem passte, was Zaire noch über seine Kollegin gesagt hatte. Reiner Zufall.
Wieder seufzte er und nahm noch einen Zug von dem schwelenden Spaßkrautrauch. Dafür, dass er vor 24 Stunden noch einen halb zermatschten Brustkorb sein eigen genannt hatte, strömte der Rauch ganz schön lange wieder aus. Er war zufrieden. Keins von Zaires Worten war negativ oder gar beleidigend bei ihm angekommen, was definitiv im nüchternen Zustand anders gewesen wäre. Er nahm es einfach hin. Genauso wie die seltsame Färbung der Pupillen. Mal davon abgesehen, dass er gar nicht wusste, ob er sie sich nur einbildete, denn er wusste schon, dass sein Bewusstsein gerade eingetrübt war. Besonders Zaires Atmung und seine Anwesenheit nahm er überdeutlich wahr.
Das Klicken vom Flur her allerdings ebenso, die sich öffnende Wohnungstür -
Er hielt den Atem an und hob den Kopf. Ihm war anzumerken, dass irgendein unbewusster, gut trainierter Teil von ihm noch hellwach und bereit dazu gewesen wäre - nun, irgendwas zu tun.
Eine Person erschien im Türrahmen, im fahlen Licht des Leuchtsteins und durch den rauchigen Nebel nicht ganz klar erkennbar. Sie war schlank, kurvig, unterdurchschnittlich groß...
"Oh, wow."
Eine ernüchterte, weibliche Stimme waberte durch den Raum.
"Ich mach mir Sorgen, dass hier jemand krepierend vor sich her vegetiert, und ihr habt nichts besseres zu tun, als euch zuzudröhnen?!"
Die Gestalt schälte sich aus den bläulich dunklen Schwaden. Es sah so aus, als hätte die Frau einen Buckel unter ihrem vom Regen feuchten Mantel. Sie hatte gelbe Augen und braune Haut. Heller als Zaires, bronzefarben. Sie hatte ein hübsches Gesicht, volle Lippen, dunkles Haar, das sie hochgesteckt hatte, wie sich herausstellte, als sie die Kapuze abstreifte.
Schnaubend warf sie eine Tasche auf den Wohnzimmertisch und räumte damit fast die Tasse ab.
"Kiri-nn"; Arrow summte ihren Namen fast, der sie endlich identifiziert und als harmlos ad acta gelegt hatte. Offensichtlich bekam er nicht viel von ihren Vorwürfen mit. Seine Miene hatte sich aufgehellt, fast als freute er sich, sie zu sehen.
"Ist das euer Ernst?" Ihre Augenbrauen verschwanden gefühlt fast im Haaransatz, so skeptisch und tadelnd schaute sie drein. Ihr Blick wanderte zu Zaire, den sie ganz offen musterte.

Eine Katze.
Der eine Rauchschwaden sah ein wenig aus wie eine Katze. In die Höhe gestreckter Schwanz, gespitztes Ohr, erhobener Kopf. Zaire hätte das Geld nehmen und zurück nach Hause gehen können. Zu seiner scheiß Katze. So simpel war sein Gedanke dazu, was wohl auch noch dem letzten Ungläubigen bestätigt hätte, dass Arrow gerade friedlich auf einer Blumenwiese lag.
In den Augenblicken, in denen sie in schweigender Eintracht dort saßen, lauschte er seinem eigenen Herzschlag und fühlte den Atemzügen nach.
Und dann kam Kirin.
"Hf." Sie schnaubte vernehmlich und beäugte Zaire skeptisch. "Der da" - sie deutete auf Arrow - "hat nicht mal Bock drauf, sich mit uns die Kante zu geben. Kirin", stellte sie sich nach ihrem Kommentar ebenso knapp vor und nickte. Ihr wacher Adlerblick hatte nicht nur sämtliche Einzelheiten von ihm aufgenommen, sondern auch die von Arrow. "Aber mit einem Fremden einen durchziehen geht?" Die Frage galt dem Irada. "Spontan die Liebe deines Lebens gefunden?"
"Ya, Kirin". Es war eindeutig keine Zustimmung, sondern mehr im Sinne von "hey, lass das" gemeint und klang auch so, wenn auch mit weniger Nachdruck. "Ich hab keine Schmerzen mehr, okay." Es klang nicht wirklich nach einer Frage.
Sie verschränkte die Arme vor der Brust und trat einen Schritt zurück, Sorge zuckte über ihr Gesicht, dann wandte sie sich zum Tisch und kramte in ihrer Tasche herum. "Wenn das so ist... Ist noch was da?" Sie lud sich somit spontan selbst ein. "Das ist Spaßkraut, oder?" Sie drehte sich mit einer Schachtel in der Hand wieder um, öffnete sie und schob den Deckel unter sie. "Ich dachte, ihr könnt vielleicht was Süßes gebrauchen", sagte sie,  und stellte sie zwischen die beiden Männer aufs Sofa. Darin lagen frische Butterplätzchen. Der süße Geruch mischte sich mit dem Rauch.
Sie achtete gar nicht weiter darauf, sondern stiefelte zum Esstisch und öffnete dabei ihren Mantel. Als sie ihn abstreifte und über einen Stuhl hängte, wurde klar, warum sie so aussah, als hätte sie einen Buckel. Ein Paar braun gefiederter Flügel offenbarte sich zusammengefaltet auf ihrem Rücken.
Zielstrebig und wahrscheinlich, weil sie das Zeug vorher schon längst entdeckt hatte, grabschte sie nach dem kleinen Säckchen voll mit violetten Pflanzenteilen. Der Rest wurde kurz in Augenschein genommen, aber sie rührte sonst nichts an. Das hieß, sie beugte sich mit dem Säckchen in der Hand vor und strich mit den Fingern der anderen durch den Geldbeutel. Ein leiser Pfiff aus ihrer Richtung. "Hübsche Steine." Dann kam sie zurück zum Sofa.
Ihre Kleidung war eng und betonte ihre Figur. Aber einen tiefen Ausschnitt hatte sie nicht. Nicht, dass sie den bräuchte. Gordon setzte sie gerne als seine Assistentin im Kundengespräch ein. Besonders bei männlichen Kunden.

Arrow hob kommentarlos die linke Hand und formte mit Daumen und Zeigefinger ein kleines Herz für Zaire, indem er die Kuppen kreuzte. Hätte er die Kiseru gerade in der Hand, wahrscheinlich hätte er sich die ganze Asche über den Schoß gekippt.
Selbst jetzt fiel ihm auf, dass Zaire seinen Namen sagte.
Kirins umsorgendes Keksangebot hatte er irgendwo am Rande mitgekriegt und der süße Duft war kaum zu überriechen. Aber der süßliche Rauchgeschmack im Mund hielt ihn davon ab, sich gleich zu bedienen. Außerdem war er einfach kein guter Esser, obwohl er süße Speisen gerne mochte, und er hatte seinen Magen bereits mit Suppe, Brot und Tee gefüllt - und Wasser - und der berauschte Heißhunger blieb aus.
Während Zaire sich also an den Keksen bediente, nahm Arrow die Kiseru wieder an sich. Sie war tatsächlich nah am Erlöschen. Dass er trotzdem und ganz eigeninitiativ sich daran bediente, war ein weiteres Indiz dafür, dass er langsam sein Gespür verlor, irgendwann auch mal aufzuhören. Die leise Stimme, die ihm anfangs noch gesagt hatte, dass er einfach abwarten würde, bis die Schmerzen nachließen, und er die Pfeife dann weglegen würde, war längst verstummt.
"Ja, ich seh schon", meinte Kirin leichthin auf Zaires weisen Rat. Ihr Blick galt dabei den beiden Männern, dann dem Tütchen in ihrer Hand. "Ihr habt da echt 'ne Menge aufgetan." Sie schien zu überlegen, ob die Vernunftbegabung der beiden der Grund dafür war, warum das Zeug so weit weg vom Sofa auf dem Esstisch lag. Andererseits hatte ihr anfänglicher Ärger, der im Grunde verkleidete Sorge war, sich offenbar verflüchtigt, denn sie wirkte recht locker, lächelte und machte dann sogar noch einmal auf dem Absatz kehrt, um den Tee und Zaires Tasse zu holen. Da Arrows mittlerweile vor dem anderen auf dem Tisch stand, ordnete sie diese nun wiederum Arrow zu, goss in beide etwas ein, schnappte sich anschließend die Keksschachtel und pflanzte sich ungefragt zwischen sie auf das Sofa. Sie saßen ja nicht kuschelnd beieinander, also war woanders als in der Mitte kein Platz.
"Woah, dass ich das erleben darf", sagte sie leise, wobei sie Arrow ins Auge fasste und fasziniert dabei zusah, wie er den restlichen Rauch in die Luft atmete.
Er ließ nur ein unbestimmtes Summen hören und reichte ihr die Kiseru. Stirnrunzelnd pfriemelte sie den Deckel der Schachtel wieder hervor, schlug den Pfeifenkopf auf das Metall, um ihn zu leeren, und war dann damit beschäftigt, die Pfeife neu zu stopfen. Sie hatte das ganz offensichtlich schon häufiger gemacht.
"So gut?", fragte sie jedoch Zaire, der ihr wie der bessere Ansprechpartner in Sachen Dosierung wirkte, da er erstens der einzige gewesen war, der etwas darüber gesagt hatte, und sie ja zweitens wusste, dass Arrow sowieso nie Drogen nahm. Sie wartete auf das Okay, schob sich das Mundstück zwischen die Lippen und schlug geradezu vorbildlich geübt ein weiteres Zündholz an, sodass auch das frische Spaßkraut bald zu knistern begann. "Huuuh", machte sie, als sie eine Lunge voll genommen hatte. "Hui. Ich bin echt erstaunt, dass ihr noch wie zwei trübe Tassen auf dem Sofa rumhängt."
Sie gab die Pfeife an Zaire.

"Erdmagier?" Fragend blickte sie von Zaire zu Arrow.
Kirin war die einzige weitere Person, die wusste, dass da mehr gewesen war als ein Sturm. Arrow hatte sie gefragt, ob sie Kleidung holen konnte, ob sie etwas zu essen auftreiben konnte, und sie hatte mitbekommen, dass er ziemlich am Arsch war. Aber auch ihr hatte er nicht erzählt, was wirklich noch alles passiert war. Auch nicht, dass Gavotte ihm auf die Brust getrampelt war. Und einen Erdmagier hatte er schon gar nicht erwähnt.
Er hatte ihr gesagt, wohin er Zaire geschleppt hatte, weil alles andere zu weit und zu anstrengend war.
Eine Antwort bekam sie nicht auf ihre viel zu vage Frage, die aus einem einzigen Wort bestand. Fand sie diesen Begriff gerade auch so komisch? Erd-Magier. Als würde er aus dem Boden wachsen. Oder auf dem Boden. Wie eine Erd-Beere.
Kirin lachte ungezwungen. "Ich hab keine Ahnung, ob du vorher genauso scheiße aussahst wie Arrow, aber ja. Definitiv brauchtet ihr das Zeug." Sie stockte kurz. "Ist nicht so gemeint, ihr seid hübsch."
Ihre Flügel hatte sie fest auf dem Rücken angelegt und die Spitzen etwas gekreuzt, sodass die Schwungfedern nicht zu sehr auf die Sitzfläche des Sofas gedrückt wurden. Anlehnen tat sie sich nicht wirklich. Sie saß etwas näher bei Arrow als bei Zaire, auch dadurch, dass letzterer ihr Platz gemacht hatte und Arrow sowieso schon bei der Armlehne hockte und nicht rücken konnte. Aber zu bedeuten hatte das nichts. Es war nicht schwer festzustellen, dass sie offen und kontaktfreudig war, das Wort "schüchtern" nicht zu ihrem Vokabular zählte. Sie respektierte Grenzen bei Fremden - bei Freunden und Kollegen nur in gewissen Maßen -, aber sie scheute nicht davor zurück, sie erst auszutesten, als von vornherein einen Bogen um sie zu machen.
"Nicht viel, bis du aufspringst und euphorisch 'das Leben ist schön!', brüllst? Oder bis ihr beide wegpennt?" Kirin war also bekannt, dass Spaßkraut genau das versprach, was es suggerierte, wenn man es gut damit meinte: Spaß. Von den beiden Kerlen hier, die mehr mit einem Schluck Wasser in der Kurve gemein hatten als mit heller Freude, konnte man das nicht so ganz sagen...
Sie schnappte sich die Kiseru von Zaire zurück und bediente sich selbst noch mal daran. Sie musste schließlich ein bisschen aufholen. "Ich bin übrigens auch von Windfang. Nett, dich kennenzulernen." Sie blies den Rauch seitlich weg, um Zaire nicht einfach anzuatmen damit, und ergänzte: "Du hast interessante Augen. Du bist ... reisender Heiler?" Entweder ihr war entfallen, dass ein zugedröhnter Gesprächspartner ihrem Geblubber nicht unbedingt so schnell folgen konnte, oder es war ihr schlichtweg egal.
"Zaire will zum Lufttempel", warf Arrow ein und nahm die Pfeife, als Kirin sie diesmal an ihn weiterreichte.

Auch Kirin bediente sich nun zwischendurch an den Keksen, die sie mitgebracht hatte. Sie freute sich darüber, dass sie bei Zaire so guten Anklang fanden, machte sich aber auch nichts daraus, dass Arrow ein Kopfschütteln andeutete, als sie ihm die Schachtel unter die Nase hielt.
"Dein Bein, huh?", machte sie und knusperte an dem Keks. Dass Zaire das Bein in einer nicht besonders gemütlichen Position aufbewahrte, sah man ja doch. Sie schien sich keine weiteren Gedanken darum zu machen, ob es so gut wäre, die Jungs zum Weiterrauchen zu animieren. Vielleicht, weil sie eher jemand war, der überzeugt davon war, das weniger Trübsal auch eine schnellere Genesung bedeutete. Na ja, nicht dass sie es gerade mit Trauerklößen zu tun hatte, aber an der Stimmung könnte man schon noch was drehen.
Bei der Frage nach der Agentur nickte sie und schien es gar nicht so uninteressant zu finden wie seine abwinkende Hand, dass Zaire ein nomadischer Heiler war.
"Ach ja." Arrow zog an der Kiseru. "Und Greife." Entweder er hatte den gleichen Gedankengang wie Zaire oder gute Ohren. Tatsächlich war das Problem nicht sein Gehör, sondern seine Aufmerksamkeit.
"Greife?" Wieder ein fragendes Wort von Kirin, die Arrow erneut die Pfeife wegschnappte und genüsslich den Rauch einatmete. Ja, sie hatte Erfahrung damit. "Ooh, verstehe. Als Nomade schlägt man sich so durch, was? Der Tempel lohnt sich wirklich. Die Mönche sind sehr offen und freuen sich über jede Unterstützung. Und du kannst dir den Luftstein ansehen. Er ist wundervoll." Sie nahm gleich noch einen Zug, um den Vorsprung zu verringern, ehe sie die Pfeife weiterreichte und sich dafür wieder ihrem Keks widmete. "Die Greife schau dir lieber von Weitem an. Sie hassen es, wenn man zu nah an ihre Brutplätze kommt. Hat schon einige eklige Unfälle gegeben deshalb." Ihre Schwingen zuckten. "Mögen es übrigens auch nicht, wenn man in ihren 'Luftraum' eindringt." Sie zog eine Grimasse, die jedoch eher Grinsen als Ärger war.
"Der Luftstein ist das Beste an allem", sagte Arrow und rollte den Kopf nach längerer Zeit wieder auf die Seite, sodass er die anderen beiden ansehen konnte. Erst dann folgte auch der Rest seines Körpers. Er schob das eine Bein aus dem Schneidersitz auf das andere, sodass er mit der rechten Seite an der Rückenlehne hing. Und mit der kunterbunten Schulter, die durch den Zug auf der Kleidung sichtbar wurde. Auch die rechte Hüfte, die eine Prellung abbekommen hatte, schmiegte sich in die Sofalehne. Außerdem hing ihm der geschiente Arm nun halb auf dem Bein. Es hätte nicht viel gefehlt und er hätte ihn zwischen die Knie geschoben.
"Oh Mann, das sieht ja wie ein Kunstwerk aus", sagte Kirin und musterte das Hämatom an seiner Schulter. "Aber damit solltest du ein bisschen vorsichtiger sein." Sie deutete auf seinen Unterarm.

"Der Luftstein ist für jeden besonders", entgegnete Kirin mit der Inbrunst der Überzeugung. "Es ist der einzige Elementarstein, den man als Normalo besuchen kann. Die ganze Energie, die er ausstahlt… Glaub mir, du kannst genug mitnehmen." Nun. Zaire saß hier mit zwei Irada, daher waren ihre Ansichten schon irgendwie subjektiv. Dran war an den Aussagen, der kurzen von Arrow und der längeren von Kirin, jedoch genug Wahres. Es gab niemanden, den der Besuch ganz oben in der riesigen Halle des Lufttempels nicht beeindruckte.
Kirin behielt die Pfeife und nuckelte am Mundstück. Dabei gab sie zustimmende Laute und beugte sich vor, um die andere Tasse zu nehmen und ein Schlückchen davon zu nehmen. "Mh, lecker." Noch ein Schlürfen, noch ein Zug aus der Kiseru. Arrow bekam sie nicht gleich wieder ausgehändigt, da sie erst seine Schulter bewundern und wegen des Arms tadeln musste.
Arrow hob die linke Hand und zeigte beiden den Mittelfinger. Das dämmrige Licht schaffte es, harte Schatten über seine Fingerknöchel und die Sehnen und Bänder auf dem Handrücken zu werfen. "Pisst euch nich‘ ein." Er grinste und schob den angewinkelten rechten Arm näher vor den Körper. Die linke Hand sank auf seinen Oberschenkel.
Kirin pustete ihm Rauch ins Gesicht. Er blinzelte und schob den Kopf in den Nacken.
"Rippen hab ich auch überlebt", kam deutlich verzögert hinterher und war irgendwo ins Nichts gerichtet. Damit wollte er nicht mal ausdrücken, dass es schon okay war, wenn Zaire ihm später die Speiche richten müsste. Es war einfach irgendeine Aussage.
"Was war mit deinen Rippen?" Kirins Tonfall hatte sich im Vergleich zu ihrem Nachgefrage zuvor schon verändert; sie klang so, als wäre ihr eine Antwort aufgrund von Sorge ein Anliegen. Tatsächlich fuhr sie fort: "Sind die auch so bunt?"
Ein Auflachen kam von Arrow, der die Hand nach der Pfeife ausstreckte, welche sie jedoch nur zu Zaire hielt.
"Ich zieh mich sicher nich‘ aus."
"Schade, aber sehen wir dann", gab sie zurück und streckte ihm die Zunge heraus. Sie wandte sich an Zaire. "Du bist also eigentlich hier, weil du Lasaliels coole Berühmtheiten angucken willst, oder gibt’s noch 'nen anderen Grund? Hast ja nicht grad Glück mit der Auswahl deiner Begleitung gehabt", fügte sie leiser hinzu.