Wer Wind sät, wird Feuer ernten

"Na sowas." Arrow hob leicht eine Augenbraue, ohne dabei den Kopf in Zaires Richtung zu drehen. Wie gesagt, der Regen müsste nicht sein. Und der Sturm war auch zu viel des Guten gewesen. Von daher konnte er ihn schon verstehen. Er sah ihm dabei zu, wie er das Pferd kontrollierte. Eine Routinehandlung, die er ganz ähnlich bei Gavotte vorgenommen hätte – und würde, wenn sie den verdammten Gaul lebendig wiederfanden. Zaire legte die Hand auf einen frischen Kratzer, der danach viel besser aussah.
Auch bei Gavotte musste man auf seine Finger achten, weshalb er sie und die Hand ganz bewusst zu einer Fläche geschlossen hatte und sie nur senkrecht zur Pferdenase hielt. Außerdem hatte er ein Auge auf die Stute. Die vorgewarnten Stellen waren nicht seine präferierten Kraulplätze und auch nicht auf Kopf- oder Armhöhe, weshalb er nicht auf die Idee kommen würde, Farasha dort anzufassen. Er war es gewöhnt, dass sein eigenes Pferd kein Kuscheltier war, und vermisste engen Kontakt zu Tieren nicht – generell hatte das fremde Tier daher Glück mit ihm.
Er ließ die Hand sinken und war zwischendurch ein wenig aus dem Weg getreten, damit Zaire die Mähne und den Zaum ordnen konnte. Der Knuff in die Seite müsste nicht unbedingt sein, doch er kommentierte es nicht, als er aufsah und sich von ihm stattdessen nur zwei Zuckerstücke in die Hand geben ließ.
"Wie praktisch." Wirklich, das war nicht ironisch gemeint. Wenn man wusste, wie man mit einem Tier umgehen konnte, das einen umwalzen und tottrampeln konnte, wenn es nur wollte, dann war das nicht schlecht. Wenn es dann noch den Zucker fraß statt die Finger abzubeißen, umso besser. Da er nur eine Hand benutzen konnte, wurde das mit dem Aufbewahren des zweiten Zuckerstückchens jedoch nichts und Farasha bekam gleich beide unter das weiche Maul gehalten. Anschließend wagte auch Arrow es, ihr einmal am Hals entlangzustreichen und sie zu tätscheln, ehe es genug des Guten war. Besser sie brachen auf.
Ganz wohl war ihm bei dem Gedanken an einen schaukelnden Pferderücken nicht, aber es würde schon werden.
"Ich komm selbst hoch", sagte er, bevor Zaire noch seine Hilfe anbieten könnte, ließ ihn jedoch den Zeitpunkt des Aufstiegs bestimmen.

Einen weiteren Zuckerwürfel suchte das Pferd umsonst, doch es veranlasste Arrow dazu, die Hand wieder zurückzuziehen und abzuwarten, bevor sie noch frustriert schnappte.
“Was ist mit dir?“, fragte er Zaire, als dieser ihm auf seine Worte hin das Signal zum Aufsitzen gab und das Führseil aufwickelte. Mit einem Sattel zwei Menschen zu tragen, war nicht unmöglich, aber für manches Pferd ungewohnt und auch unangenehm, weil eine Person weit hinten auf dem Brustkorb platznehmen musste. Zumal die Satteltaschen, zu denen sein Blick nun auch glitt, um herauszufinden, ob dahinter überhaupt Platz war. Also vergewisserte er sich lieber, ob er alleine auf dem Tier sitzen würde – was ihre Mobilität und Schnelligkeit einschränken würde – und wenn nicht, ob Zaire hinter oder auf dem Sattel sitzen wollte. Wahrscheinlich war die Hauptsache, dass Arrow oben saß und er auch oben blieb. Das Mittel, das er ihm gegeben hatte, fing schon an zu wirken, aber trotzdem war ihm klar, dass er als erster durchhängen würde, wenn er laufen musste.

Zaire hatte einen Punkt. Farasha konnte mit ihnen sowieso nicht gleich losstürmen, wenn sie keine Spur von Gavotte fanden. Außerdem fand das fremde Pferd es sicher weniger scheiße, wenn es sich nur an ihn gewöhnen und nicht gleich mit zwei Leuten auf dem Rücken klarkommen musste.
Er nickte daher, denn einen Kritikpunkt an diesem Plan gab es nicht.
"Ja, kann ich", sagte er sachlich und daher offenbar ganz sicher nicht, um den harten Kerl zu markieren, der er nicht sein konnte. Lädiert zwar, aber er war immer noch ein Gleichgewichtsass. Und reiten konnte er wirklich.
Trotzdem war er aktuell ganz froh darüber, dass er nicht auf einen blanken Pferderücken springen musste, sondern einen Steigbügel zur Hilfe hatte. Ihm entging nicht, dass ihm die Zügel erst mal ein weggenommen wurden, er konnte es jedoch verstehen. Noch einmal legte er die Hand an den Hals der Stute, dicht bei der Schulter. Das Fell war feucht, aber darunter war die warme Haut. Dann griff er in die Mähne, schob den Fuß in den Bügel und zog sich mit einer fließenden, fast perfekt austarierten Bewegung auf den Sattel hinauf. Das Pferd musste also kaum Gewicht verlagern oder gar umtreten, fast als zöge sich kaum Gewicht an ihm hoch.
Definitiv ein anderer Pferderücken und ein anderer Sattel als sonst, aber immer noch ein Pferd. Mangels Zügeln griff er nach dem Sattel beim Widerrist.

Auch Farasha war beim Aufsteigen nicht so ganz geduldig. Während Gavotte meistens einfach unerlaubt losmarschierte, zappelte das graue Pferd herum und machte ihnen unnötig das Leben schwerer. Aber nicht so schwer, dass Arrow nicht am Ende sicher im Sattel saß.
Nun ja, das Schütteln war nicht so angenehm. Trotzdem ebenfalls kein Schwanken wert. Arrow hatte so im Gefühl, dass er in ein paar Stunden deutlich zu spüren bekommen würde, dass diese ganze Aktion jetzt schon zu viel des Guten war. Egal. Es half nichts. Gavotte würde nicht plötzlich freudestrahlend herangaloppiert kommen, weil ihr Besitzer von den Toten auferstanden war und auch noch einen Artgenossen aufgegabelt hatte. Im Gegensatz zu Farashas war ihr Lebenshaltungstrieb vermutlich nicht groß genug, dass sie sich nicht panisch die Beine brechen könnte. Man musste ganz ehrlich sagen, dass sie schwache Nerven hatte.
Gut für eine Flucht nach vorn, denn wenn sie rannte, dann rannte sie.
Schlecht, wenn man ein treuergebenes Reittier brauchte.
Das Pferd setzte sich in Bewegung und das Geschaukel testete gleich mal, wieweit die Gehirnerschütterung schon abgeklungen war. Es ließ sich aushalten. Dafür wusste er ganz genau, dass die Bewegungen, die die Hüfte abfing, um den Oberkörper nicht wahllos mitschwanken zu lassen, ihm bald auf den Hüftknochen und die geflickten Rippen gehen würde.
Es dauerte nicht lange, bis sie zu der Senke kamen. Der windgebeugte Baum hatte dem Sturm erfolgreicher getrotzt als einer seiner Äste. Arrow konnte das vermaledeite Ding da unten liegen sehen, ungefähr da, wo es ihn umgehauen hatte. Die Dunkelheit war weniger das Problem für ihn, aber auch er konnte nicht auf zehn Meter und von oben herab super gut Spuren erkennen, solange es Nacht war. Deshalb war es gut, dass Zaire Farasha tiefer die Senke hinabführte und sie sich der Stelle näherten, wo das Unheil seinen Lauf genommen hatte.
Der matschige Grund erinnerte Arrow daran, dass seine Kleidung ziemlich dreckig war und seine Haare vermutlich auch nicht besonders gut aussahen. Der Nieselregen würde jedenfalls nichts waschen. Da war eine Stelle, an der er gelegen haben könnte, geordnetere Hufspuren, die von Farasha stammten - und dann ein Fleck, an dem ein anderes Pferd die Hufe in den Matsch gerammt hatte und unter vollem Körpereinsatz zur Seite gesprungen sein musste. Die Spuren waren verzogen, weil es ausgerutscht war; dort, wo es aufkam, sammelten sie sich und schwach war zu erkennen, dass der Gaul in die falsche Richtung rechts an der Senke vorbeigaloppiert war.
"Sie ist da hoch", sagte Arrow und deutete mit der linken Hand in die entsprechende Richtung. "Vielleicht war sie so schlau, bis zu einer nahen Straße zu laufen und der zu folgen. Dürfte bei dem Wetter auch für sie viel leichter gewesen sein als sich durch Gras und Dreck zu quälen."

"Ich gehe doch davon aus, dass sie sich irgendwann beruhigt hat." Es stimmte, dass panische Pferde nicht besonders clever waren, aber bei Gavotte hatte er das Gefühl, dass sie schnell vergaß, warum sie eigentlich wegrannte, und dann eben einfach nur weiterlief. Vielleicht reichten die Hirnzellen dann dafür aus, sich wenigstens den geringsten Widerstand zu suchen. Wie auch immer, die Hoffnung starb bekanntlich zuletzt.
Zaire schien ein wenig aufzutauen – jedenfalls was sein Temperament betraf, da er einen ziemlich üblen Fluch ausstieß, als er sich den Weg die Senke hinauf im nassen Gras langlegte. Arrow hob eine Augenbraue, seine Lippen kräuselten sich jedoch verräterisch. Er fühlte sich auch nicht persönlich beleidigt, als der andere anschließend seine Meinung über Lasaliel kundtat, obwohl er hier geboren war und die Insel als seine Heimat betrachtete. Über Geschmack ließ sich eben nicht streiten.
"Wenn du am Lufttempel bist, kannst du dich von da aus nach Osten halten. Genau auf der anderen Seite der Insel kann man sie öfter sehen."
Sie erreichten die Kuppe des Hügels und Arrow versuchte erneut, sich zu orientieren. Da er keine Ahnung hatte, wohin die Reise noch führte, machte es aber wenig Sinn, jetzt schon zu vermuten, wo der Lufttempel lag. Er wollte nur eine grobe Übersicht bekommen. Und nach weiteren Spuren Ausschau halten.
Das Pferd blieb stehen.
"Geht schon", sagte er und pfriemelte nun doch das Fläschchen mit dem Schmerzmittel aus der Hosentasche, um noch einen Schluck davon zu nehmen. Anschließend wurde es wieder verstaut und er schlüpfte aus dem einen Steigbügel. Mit den Satteltaschen war es kein ganz so einfaches Rücken nach hinten hinter den Sattel und er hatte nur eine Hand zum Abstützen. Ein Glück, dass diese ihn nicht im Stich gelassen hatte. Er richtete sich im Sattel und in dem einen Steigbügel auf, um mit dem anderen Bein leichter hinter das ganze Zeug steigen zu können, immer darauf bedacht, sich nicht zu schnell oder grob zu bewegen oder die Stute zu treten. Gleichzeitig blieb er dicht an ihrem Körper, damit sie spürte, was er tat und wo er war. Die Spannung im Oberkörper zwiebelte trotz der beiden Mittel dabei ziemlich. Dazu das ungeduldige Pferd und es war direkt eine Übungseinheit und keine Selbstverständlichkeit. Trotzdem landete er ohne Plumps hinter dem Sattel, als auch der zweite Fuß aus dem Steigbügel gezogen wurde. Farasha konnte sich kaum einen angenehmeren zweiten Passagier wünschen. Na ja, vielleicht jemanden, der noch mal dreißig Kilo weniger wog.

Auch Arrow waren Greifen als Reittiere ziemlich suspekt. Gordons Greif ließ ihn wirklich ungern an sich heran – was möglicherweise aber nicht nur die Schuld des Greifen war, sondern vor allem die von Arrow. Einer der Gründe, warum er mit Gavotte den Kurierdienst übernommen hatte und nicht mit Silberflügel.
"Keine Ahnung, wie spät es war", bemerkte er unverbindlich, als Zaire überlegte, ob andere Leute auf der Straße Gavotte vielleicht gesehen haben könnten. Nachts jedenfalls war hier selten jemand unterwegs, aber es war noch nicht dunkel gewesen, als der Ast ihm die Hand gereicht hatte.
Farasha schien wohl der Meinung zu sein, dass man selbst beim Auf- und Umsitzen schon beweisen musste, dass man wusste, was man tat, denn sie zappelte herum und sorgte dafür, dass er bei der Aktion vom Sattel runter tatsächlich ein wenig mogeln musste, um das Gleichgewicht ruhig zu halten. Nun, hätte sie es drauf angelegt, müsste sie wahrscheinlich mit einer Diskussion rechnen. Glücklicherweise war sie ganz so frech dann doch nicht, denn mit Arrow, der nun hinter den Sattel rückte und dem hochwerfbaren Hinterteil damit um einiges näher war als zuvor, hätte sie aktuell nicht zu schlechte Karten gehabt.
Er nahm den Oberkörper zurück, um Zaire Platz zu machen, kommentierte aber das Verhalten der Stute wohlweislich nicht. Die Hand legte er auf die Satteltaschen und rückte noch etwas auf, um mehr Halt zu haben. Mit den Beinen hielt er sich nur bis zu den Knien an den Rücken und den Rumpf gedrückt, um zu vermeiden, dass sie seine Unterschenkel und die Fersen als Signale missinterpretierte.
Farasha marschierte los und ihr Rücken war definitiv wackeliger als der Sattel. Aber er hatte ja das Schmerzmittel genommen, weshalb ein Zähnezusammenbeißen schon nach wenigen Schritten wieder entfiel. Er wollte wirklich nicht wissen, wie er sich fühlen würde, wenn die Wirkung und auch die des anderen Mittels in ein paar Stunden ganz nachlassen würden. Wahrscheinlich wie gekaut, geschluckt und wieder ausgekotzt.
"Wenn sie hier weitergeht und wir davon ausgehen, dass Gavotte bis zu einer Straße weitergelaufen ist, müsste die nächste in ein paar Minuten kommen, wenn ich mich nicht irre", sagte er, ohne Notiz davon zu nehmen, dass er den Namen des Pferdes bisher nicht erwähnt hatte.

Er nickte leicht. Dank des Sturms war es ziemlich schwierig gewesen, die Uhrzeit zu schätzen, aber dunkel war es noch nicht gewesen. Also, nicht von der Tageszeit her, sondern von den schwarzen Wolken, die gefühlt nur fünf Meter über einem vorübergezogen waren. Sie hingen auch immer noch ziemlich tief, schwer vom Regen, der beharrlich und ganz fein auf sie herunternieselte und dabei genauso gründlich durch nicht wasserfeste Kleidung drang wie ein starker Regenguss. Trocken waren Arrows Haare und die freiliegende Haut jedenfalls nicht mehr, und auch die vom Feuer wieder getrocknete Kleidung begann bereits, sich klamm anzufühlen.
“Und, ob wir es herausfinden wollen oder nicht“, fügte er etwas leiser an Zaires Worte an. Bei diesem Wetter und mitten in der Nacht anderen Leuten zu begegnen, ob sie nun schliefen oder in Zelten (oder wie auch immer) den Sturm ausharrten, konnte alles mögliche bedeuten.
Ihm war Zaires Akzent schon vorher aufgefallen, er wusste aber nicht so recht, wohin er ihn schieben sollte. Er war sowohl die Sprechweise der Irada, als auch die entweder viel förmlichere oder recht derbe Sprache der Karon gewohnt, Akzente gab es allerlei. Auch der Name des Gauls wurde etwas anders betont als vorgesehen, aber Arrow nahm ihn sowieso kaum in den Mund. Er war nicht sicher, ob die Stute ihren Namen überhaupt kannte.
“Dunkelbraun, fast schwarz, groß, schlanke Beine, schmale Blässe.“ Ein hübsches Tier mit weißen Fesseln, wenn auch unspektakulärer gefärbt als Farasha. Dafür war ihr dunkles Fell auch keine Allerweltsfarbe. „Schokoladenpferd“ war nur eins der Wörter, die Kirin gern benutzt hatte, bevor sie mit dem Namen Gavotte um die Ecke gekommen war, weil sie der Meinung war, dass Arrow aufhören sollte, sie immer nur Gaul oder „das Pferd“ zu nennen. Nun, er hatte sowieso nicht zum Angucken gekauft. Ihm war egal, ob sie braun, gescheckt oder gepunktet war. “In der Dunkelheit leider nicht so gut zu sehen.“
Zugegeben.
Es wurde schon schwerer, die Spuren im Gras zu erkennen, da das flüchtende Pferd scheinbar seinen Rhythmus gefunden hatte und den Boden weniger umpflügte. Er drehte den Kopf zur Seite und stieß einen Pfiff zwischen den Zähnen hervor. Gavotte kannte ihn, und wenn sie auf der Wiese stand, hörte sie auch darauf. Vielleicht war sie nah und verzweifelt genug, auch jetzt gnädig mit ihnen zu sein.

Natürlich folgte auf Arrows Pfiff kein erleichtertes Wiehern. Auch nichts, das sich nach Hufschlägen anhörte. Nur der peitschende Wind und die dumpfen Geräusche der Hufe vom falschen Pferd waren die Antwort.
Arrow war nach dem Aufwachen im völlig desolaten Zustand schon lange genug von den Gedanken an den Schatz umgetrieben worden und hatte sie mit dem Delirium zurückgelassen. Der kühle Kopf war zurück an erste Stelle getreten. Es half nichts, Panik zu schieben. Trotzdem beschäftigte er sich mit mehreren Möglichkeiten, die in dieser Nacht noch auf sie warten könnten. Oder eben nicht, wenn das Pferd nicht auffindbar war.
"Eine Gavotte ist ein Tanz oder ein Musikstück", antwortete er auf Zaires Frage. "Meine Kollegin hat sie so genannt, frag mich nicht. Das Tempo passt. Die fröhliche Grundstimmung nicht."
Vielleicht sollte er sein eigenes Tier nicht so in den Verruf bringen. Leider war es eine Tatsache, dass Gavotte ein sensibles Gemüt hatte und schnell zum nervlichen Pflegefall wurde. Und nicht wie ein süßes Pony über sonnenbeschienene Wiesen hüpfte wie ein freudiges Musikstück vermuten ließe.
"Sie ist in die falsche Richtung gelaufen...", fuhr er fort und seufzte leise, weniger resignierend, als um der inneren Anspannung etwas Raum zu geben. In seiner Körperhaltung war sie nicht zu sehen oder zu spüren. "Ich weiß nicht, ob es Sinn macht, da hochzugehen und nach Lichtern Ausschau zu halten." Er deutete zu einem etwas höher gelegenen Hügel, der in der Nähe gerade so noch auszumachen war. Wenn keine Menschenseele hier irgendwo unterwegs war oder sein Lager aufgeschlagen hatte, könnte man in der Dunkelheit auch von da oben aus nichts sehen. Aber was sollten sie schon anderes tun, wenn sich die Spuren langsam verloren?

Da Zaire den früheren Besitzer und den Schmetterling in Relation zueinander setzte, ging Arrow davon aus, dass ebenfalls nicht Zaire Farasha ihren Namen gegeben hatte. Man könnte meinen, sie hielte nicht viel von ihrem Namen, da sie den Moment nutzte, um sich zu schütteln. Ohne Sattel eine etwas größere Herausforderung, weshalb der Druck der Oberschenkel verstärkt wurde und der Griff an den Sattel fester. Die Spannung in den Muskeln schmerzte nicht; ehrlich gesagt spürte er gerade generell nicht viel von Schmerzen, Spannung oder sonstigem im Körper. Auf der einen Seite gut, auf der anderen Seite würde es bedeuten, dass er auch schlecht würde einschätzen können, wann genug war.
"Sieht so aus, als hätten die Namensgeber größere Hoffnung in unsere Gäule gesteckt, als wir." Mal wieder eine recht trockene Bemerkung dazu. Wobei er fand, dass die beiden Namen schon irgendwie zu den Tieren passten, wenn man die Bedeutung nicht kannte.
Gavotte und Farasha. Ein Schmetterlingstanz auf der bunten Blumenwiese. Wenn sie sich dann auch noch auf Anhieb verstanden, wären da eindeutig böse Mächte am Werk. Allerdings mussten sie den braunen Gaul dafür erst mal finden. Und andererseits war Arrow sich ziemlich sicher, dass Farasha zu dominant und Gavotte zu sensibel war, als dass daraus eine schnelle Freundschaft erblühen könnte.
Zaire stimmte seinem Vorschlag zu, das Pferd fand ihn blöd, machte aber, was ihm gesagt wurde und verließ die Straße. Das Knirschen von kleinen Steinen wurde vom Schmatzen durchweichten Bodens abgelöst. Den Hügel hoch war der Untergrund natürlich auch rutschig, aber Farasha brachte sie sicher nach oben.
Und als hätten irgendwelche Kami sich überlegt, dass ein wenig Glück für die beiden Herrn angesagt war, die sich mitten in der Nacht auf die Suche nach einem Pferd machten - nicht etwa einem Vermögen mit schwindelerregendem Wert -, konnte man noch etwas entfernt auf der anderen Seite geschützt in einer Senke ein Lager mit Wagen und einem Feuerchen erkennen.
Nun ja, Arrow wusste noch immer nicht so recht, ob es wirklich Glück bedeuten würde. Er verengte die Augen, konnte aber abseits dem Feuerschein von den Pferden nur dunkle Umrisse erkennen. Vielleicht war das eine auch ein Muli, es war zu düster. "Ich kann leider nicht genug erkennen. Wir sollten uns die Sache mal näher ansehen."

Nun, in Zaires und Farashas Fall stimmte es wohl. In Arrows und Gavottes nicht. Kirin war diejenige, die den Gaul getauft hatte, und Kirin war eine Kollegin von ihm. Allerdings beschränkte sich ihr Herumschlagen darauf, Gavotte Äpfel und Möhren zuzustecken und sie zu streicheln.
Das Lichtlein in der Entfernung bedeutete nun also, dass die Stute ihre beiden Passagiere wieder den Hügel hinuntertragen musste, und Arrow wusste genau, dass diese Bewegung auf Dauer nicht so gut für ihn war. Also hoffte er einfach, dass die beiden Mittel lange genug hielten, damit er nicht noch etwas davon nehmen musste und erst zu spüren bekam, dass das alles hier viel zu viel für den Körper war, wenn er Pferd und Ware zurückhatte und alles abgeliefert war. Leider beschlich ihn das Gefühl, dass es Wunschdenken war oder jedenfalls viel mehr Anstrengungen und Risiken in Anspruch nehmen würde als erhofft. Denn je näher sie dem Lager kamen, desto offensichtlicher wurde, dass das kleine Trüppchen sich tierisch über etwas freute. Stimmen waren zu hören, die nicht nüchtern klangen - die Laune war viel zu gut für den Nieselregen und den überstandenen Sturm.
Arrow konnte sich genau eine Sache sehr gut vorstellen, die die Stimmung so sehr anhob... Und außerdem dauerte es nicht mehr lange, bis sie nah genug herangekommen waren, dass die Dunkelheit sie drei zwar noch verschluckte, die Pferde aber nicht mehr.
"Scheiße", sagte er, statt auf Zaires Frage zu antworten, und mehr als dieses Wort brauchte es wahrscheinlich nicht, nicht mal den angepissten Tonfall, um herauszufinden, dass ihre Lage sich gerade drastisch verschlechtert hatte.
Oder jedenfalls seine, denn er würde Zaire sicher nicht darum bitten, hier mitzuhelfen. Er war nicht nett, aber er war auch kein Arsch.
"Halt mal an."
Er deutete hinunter zu einem der Wagen, an den ein Pferd angebunden war, das mit dem Hintern zu ihnen stand. Es war in der Dunkelheit schwarz, aber er kannte seine Zicke eben. Außerdem konnte man die weißen Fesselgelenke erkennen. "Das ist sie." Er unterdrückte noch einen Fluch und stieß die Luft aus. "Eigentlich ist Lasaliel eine friedliche Insel, aber das da unten sieht nicht so aus, als würde man uns freiwillig ein Pferd und Geschmeide im Wert von halb Anan zurückgeben, oder?"
Verdammter Mist.
Es war ihm egal, dass Zaire jetzt wusste, dass er hier keine sentimentalen Erinnerungsstücke zurückbekommen wollte. Ehrlicherweise würde er sich lieber nur mit Zaire anlegen als mit einem Haufen Trunkenbolden. Besoffene waren zwar weniger wendig und gut sortiert, aber wenn sie sauer wurden, eskalierte die Lage eben auch doppelt so schlimm.

Wieso auch, verflucht, war der ganze Klunker so dick eingepackt gewesen, dass er ihn nicht einfach in einer kleinen Tasche irgendwo am Körper herumtragen konnte? Wäre dem so gewesen, hätte er ihn niemals aus der Hand geben und schon gar nicht dem Gaul aufladen müssen. Wahrscheinlich war es eh seine eigene Schuld und er hätte sich das treuste und netteste Pferd aus dem Stall leihen sollen - aber wer konnte denn auch ahnen, dass nach dem ganzen schönen Wetter plötzlich so ein verfickter Sturm aufzog und ein fliegender Ast den Gaul wegrennen ließ?
Wie auch immer. Es war eh schon zu spät. Und es war auch nicht so, als wäre das da das Schlimmste, was hätte passieren können. Besser ein lebendiges und aufgefundenes Pferd samt Gut in fremden Händen, als kein Pferd und keine Ware.
Er erwiderte Zaires Blick kurz, und als er ihn abwandte, hatte das nichts damit zu tun, dass er ein Problem mit dem Gestarre hatte; er blickte wieder hinunter in die Senke. Er war sich ziemlich sicher, dass es Gavotte war, ohne näher ranzugehen. Die Art, wie das Tier nervös den Kopf und die Ohren drehte und vom einen Bein aufs andere trat, den Schweif schlug und am liebsten zu den anderen Pferden wollte, obwohl es sie nicht kannte, war für ihn unverkennbar. Er antwortete nicht, dass sie ihm wichtig genug war, aber wahrscheinlich war es eh offensichtlich genug.
"Und dann?", fragte er, während Zaire abstieg. "Willst du warten, bis alle schlafen, und das Zeug dann stehlen und abhauen? Halten wir so lange durch? Außerdem ist die Zeit eh knapp." Er hob das rechte Bein über die Satteltaschen auf die linke Seite und ließ sich zu Boden gleiten, wo er leichtfüßig wie eine Katze landete. Der nicht benutzbare Arm ging ihm gehörig auf den Zeiger. "Nicht, dass ich eine bessere Idee hätte", fügte er hinzu, um klarzustellen, dass er nicht einfach nur meckern wollte, weil er den Plan bescheuert fand.

Sie waren scheinbar in eine Phase ihrer Bekanntschaft gekommen, in welcher Zaire Arrow nun doch die Zügel seines Pferdes in die Hand drückte. Nicht, dass es eine gute Alternative gab, wenn er sein Schlafgebräu selbst mixen und es lieber nicht ihm überlassen wollte. Die schlanken Muskelstränge der Kiefergelenke traten unter der feinen Gesichtshaut hervor, als er die Zähne aufeinanderdrückte. Ihm gefiel weder die "Infiltration", noch ein offener Kampf, aber ersteres war die ungefährlichere Methode, wenn man sie nicht gleich wieder in die Nacht hinausjagte.
"Das weiß ich selbst", knirschte er leise. Er hatte ja gerade erst gesagt, dass er keine bessere Idee hatte. Da Zaire von ihnen beiden derjenige war, der die Möglichkeiten und auch noch die Absicht hatte, in die Runde hineinzumarschieren, hielt er sich zurück und sagte ihm nicht, dass er seine Hilfe nicht annehmen wollte. Einem geschenkten Gaul schaut man nicht ins Maul, und ohne ihn wäre er definitiv sehr viel aufgeschmissener. Der scharfe Geruch von Alkohol drang selbst durch den Nieselregen zu ihm, der mittlerweile seine Kleidung und ihn gut durchnässt hatte. Er fror wahrscheinlich nur aufgrund von Zaires Wundermitteln nicht. Kälteempfindlich war er nicht, aber er war angeschlagen und der Regen war nicht gerade ein Wohlfühlfaktor.
Sein Misstrauen Zaire gegenüber war zwar deutlich in sich zusammengeschrumpft, vertrauen tat er ihm jedoch nicht. Er war sich nicht so sicher, ob seine Hilfe uneigennützig war, aber ohne ein Wort über die Bedeutung der Fracht zu verlieren...
Er schnaubte leise. Es brauchte gar keinen Sarkasmus mehr an dieser Stelle, damit klar war, dass für sie beide eine offene Forderung, die Sachen und den Gaul rauszurücken nicht in Frage kam. Arrow hatte zu viel Scheiß erlebt, um die Möglichkeit ernsthaft in Betracht zu ziehen, dass jemand ihm einfach alles zurückgeben würde.
"Fertig?", fragte er Zaire, als er die Flaschen entweder geleert, oder wieder verschlossen hatte. Er hatte nichts dabei, um ihm zur Hand zu gehen, also übte er sich in Geduld und Kooperation. Sie mussten sowieso zusammenarbeiten, sonst würde das ganze nicht funktionieren.

Er nickte leicht, als Zaire kurz und knapp eine kleine Hintergrundgeschichte zusammenbastelte. Viel hinzuzufügen gab es nicht. Je weniger sie sich auch in dieser Geschichte kannten, desto besser, denn dann konnte niemand misstrauisch werden, wenn sie sich in Ungereimtheiten verstrickten - da diese nicht existierten.
"Pilgerreise passt schon. Wir Irada bewundern gerne unseren Luftstein", gab er zurück und verzog sogar die Lippen kurz zu einem schmalen Lächeln, auch wenn es seine Augen nicht erreichte.
Er atmete langsam durch und fragte nach dem Mittel, das Zaire ihm zum Durchhalten gegeben hatte. Das Schmerzmittel wirkte noch und er hoffte einfach, dass das Aufputschmittel die Wiederkehr der Schmerzen ein wenig zurückhalten konnte. Das Schmerzmittel half ihm nicht, wenn sein Körper in einer halben Stunde nach Schlaf schrie. Das andere Mittel wirkte in dem Fall zuverlässiger auf ihn. Schmerzen hielt er gut aus. Schlafmangel zwar auch, aber in der Situation, in welche sie sich begaben, wollte er davon lieber nicht beeinträchtigt werden.
Er fragte sich, was Zaire noch für Zeug hatte, welches er jedoch nur in sich hineinkippte und nichts davon an ihn abgab. Aber laut stellte er die Frage nicht. Derzeit erschien es ihm nicht wichtig für sich selbst, etwas darüber in Erfahrung zu bringen.
Es war mitten in der Nacht und das Wetter so übel gewesen, dass von den Leuten dort unten es hoffentlich niemand allzu merkwürdig finden würde, dass sie beide nicht besonders gut aussahen. Zudem sein geschienter Arm. Je harmloser, desto besser. Quietschfidele bewaffnete Männer ließ eine Gruppe Neureicher sicher weniger offen in ihre Mitte.
"Dann los...", sagte Arrow leise, nachdem er abgewartet hatte, das Zaire die Sachen wieder verstaut und Farasha genommen hatte.