Eine Stadt in den Bäumen

Während mein Atem sich langsam wieder beruhigte, schlug mein Herz immer noch ziemlich schnell und wollte sich noch nicht so ganz beruhigen. Da es aber in den letzten Minuten um mich herum ziemlich still geworden war, beruhigte ich mich langsam wieder. Ich war auch weit genug gelaufen, dass mein Verfolger mich hoffentlich verloren hatte, selbst wenn er mir weiter versucht hätte zu folgen.
Noch ein paar Fledermäuse gesellten sich zu mir in mein Versteck, ansonsten blieb es still. Bis der Fledermausschwarm, der noch in der Nähe war, etwas unruhig wurde.
Mensch. Mensch. Mensch, warnten sie. Sie wussten, dass es ein Mensch war, der hinter mir her gewesen war und vor dem ich Angst gehabt hatte, daher warnten sie mich. Sie hörten viel mehr als ich. Ich konnte immer noch nichts hören und nichts Besonderes sehen. Oder war da gerade etwas gewesen?
Treibt ihn weg, bat ich, und die kleinen Fledermäuse flatterten wieder los. Ich fand es jedenfalls ziemlich unwahrscheinlich, dass jemand hier unterwegs war, der nicht zu diesen Leuten gehörte. Wer auch immer die waren.
Und wenn es Rave ist? Eine kleine Hoffnung schimmerte in mir auf - aber es wäre schon ein ziemlicher Zufall, wenn er genau den gleichen Weg fand wie ich. Trotzdem... ...Aber nicht wenn es mein Freund ist! Wie sieht er aus?, bat ich die Fledermäuse, die schon durch die Luft schwirrten.
Mensch. Mensch. Mensch. Mehr konnten sie mir nicht sagen, natürlich nicht. Oder ich verstand sie nicht. Im Zweifel blieb ich aber lieber versteckt, bis ich es genau wusste. Die Fledermäuse umschwirrten die Person, die sie entdeckt hatten.

Ich brauchte ein paar Sekunden bis mir klar wurde, dass diese leisen Geräusche, eine Art Rascheln(?), irgendwo oberhalb von mir kam. Ich wagte allerdings nicht, länger als nur einen Augenblick lang hinauf zu sehen und behielt den Steg lieber im Blick...nicht das gleich der nächste Schütze auftauchte oder irgendein anderer Hinterhalt auf mich wartete. Erkennen, was für das Rascheln verantwortlich war, konnte ich daher nicht. Vielleicht irgendwelche aufgeschreckten Vögel?
Einen Moment später erübrigte sich die Frage dann allerdings auch schon wieder, denn das Rascheln wurde lauter und verwandelte sich in eine dunkle Wolke, die begann, um meinen Kopf herum zu flattern. Ich hob im Reflex die Arme und wedelte mit ihnen herum. Flattern…moment mal…das waren doch...Flederviecher? Waren vielleicht von irgendwem aufgeschreckt worden und meinten, nun, mich angreifen zu müssen.
Ich duckte mich und ließ mit einer Armbewegung einen leichten Wind um mich herum wirbeln, um sie von mir fern zu halten. Vor zwei Jahren hätte ich mich bei dem Versuch wahrscheinlich selbst vom Steg gepustet, aber jetzt gerade funktionierte das erstaunlich gut. Vielleicht, weil ich keine Zeit hat, genau über das nachzudenken, was ich machen wollte. Ich musste zusehen, dass ich die Kleine noch fand…und wenn nicht, musste ich mich schleunigst aus dem Staub machen und zusehen, dass ich mich in Sicherheit brachte. Ich hatte keine Lust, mir einen dieser schwarzen Pfeile einzufangen.

Die Fledermäuse ließen sich ohne viel Aufwand durch den aufgewirbelten Wind vertreiben, schließlich waren sie nicht auf eine große Konfrontation aus. Sie flatterten weiter durch die Luft, jetzt aber wieder irgendwo zwischen den Bäumen im Schutz der Dunkelheit. Aber sie kamen auch wieder näher zu mir und berichteten mir.
Wind-Mensch. Wind-Mensch.
Was? Ich horchte auf, war nicht sicher ob ich sie richtig verstanden hatte, wüsste aber auch nicht, was es sonst heißen sollte, was sie mir gesagt hatten.
Wind-Mensch. Ein Irada? Rave war einer! Aber was wenn....
Vorsichtig wagte ich mich ein Stück aus meinem Versteck heraus, aber der Platz vor dem großen Gebäude war leer. Ich sah mich aufmerksam um, hörte auch nichts Auffälliges, sodass ich schließlich unter der Treppe hervor krabbelte und mich wieder aufrichtete. Wieder blickte ich mit klopfendem Herzen umher und richtete meine Mütze, sodass meine Haare wieder darunter versteckt waren, auch wenn das hier auch nichts gebracht hatte.
Zeigt mir wo der Wind-Mensch ist, bat ich den Fledermausschwarm, und ein paar von ihnen flatterten um mich herum, um mir dann die Richtung zu weisen. Ich folgte ihnen vorsichtig, hielt mich immer im Schatten und sah zu, dass ich mich leise bewegte. Es ging ein Stück den Steg entlang, zurück in die Richtung, aus der ich gekommen war, und dann lag vor mir eine kurze Brücke zur nächsten Plattform. Da.
Ich sah eine Bewegung im Licht der Leuchtsteine, die hier ein wenig die Plattformen erhellten. Und dann einen hellen Haarschopf.
"Rave!", rief ich halb flüsternd, wagte mich noch nicht ganz aus dem Schatten, bis ich ganz sicher war...

Ich bekam fast einen Herzinfarkt als ich hörte, wie irgendetwas hinter mir meinen Namen rief und es schaffte, dabei noch immer irgendwie zu flüstern. Ich schnellte herum und entdeckte eine Gestalt, mehr im Schatten und erahnend als das ich sie im ersten Moment wirklich erkennen konnte. Rin!
So schnell ich konnte huschte ich zu ihr hinüber, packte sie an den Schultern und drückte sie, wahrscheinlich einen Ticken fester als ich es eigentlich beabsichtigte. Aber das lag an meinen Nerven. Die lagen blank!
"Alles okay?" Mein Blick scannte sie einmal von oben nach unten ab und blieb schließlich wieder in ihrem Gesicht hängen. Sie schien noch an einem Stück zu sein und in der Lage, zu laufen. "Ist dir noch wer gefolgt? Wir müssen schleunigst von hier abhau'n!" Ich wartete gar nicht so wirklich eine Antwort ab, ließ sie auch schon wieder los und wandte mich ab, um mich in Bewegung zu setzen und dem Steg zu folgen. Ich wollte so schnell wie möglich Abstand zwischen uns und meinem Baumhaus bringen. Für mich fühlte es sich mordsgefährlich an, weiter auf den Stegen herum zu schleichen. Wir brauchten sowas wie einen Unterschlupf, ein erstes Versteck...und das am Besten bevor einer von uns einen Pfeil im Rücken stecken hatte.

Erst als die Gestalt sich umwandte und ich wirklich ganz sicher war, dass er es war, trat ich aus dem Schatten heraus. Ich musste aber gar nicht bis zu ihm laufen, denn er kam schon rasch in meine Richtung gehuscht. Rave!
Ich war etwas überrumpelt von seiner heftigen Reaktion, als er mich an sich drückte und mir fast die Luft wegblieb dabei, aber gleichzeitig war da auch so ein Gefühl der Erleichterung, dass mir fast die Tränen kamen und ich sie mit Gewalt zurückdrängen musste. Und außerdem tat es irgendwie gut, jetzt gerade so festgehalten zu werden. Auch wenn es auch komisch war.
Ich nickte rasch auf seine Frage hin, ohne etwas zu sagen, und wischte mir einmal schnell übers Gesicht. Ich merkte erst jetzt, dass ich ein wenig zitterte. Aber mir ging es gut und ich hielt mich auch tapfer. War nicht das erste Mal, dass ich fast erwischt worden wäre. Aber es war etwas anderes, wenn man dem mit seinen Freunden und in den bekannten Gassen entkam, oder hier allein in der Fremde.
Naja. Ganz allein war ich ja nicht.
"Ich glaub nicht", antwortete ich, und musste mich dann auch schon beeilen, mit Rave Schritt zu halten, der sich ziemlich schnell abwandte und wieder losstapfte. Eine der Fledermäuse hatte sich wieder auf meinen Rücken unterm Kragen gesetzt. Freund, teilte ich ihr mit, und sie flatterte zufrieden davon. Ich merkte aber, dass der Schwarm noch in der Nähe war. Ich hatte auch sie ganz schön erschreckt. Tiere reagierten stark auf Gefühle.
"Wo gehen wir hin?", fragte ich leise und warf einen Blick hinauf zu Rave. Dass wir erstmal nicht zurück konnten, war mir klar, aber ich wusste auch nicht wohin sonst.

Die Freude darüber, dass Rin noch am Stück war, hielt sich in Grenzen, aber auch nur, weil ich noch immer gehetzt war und Angst hatte, während der nächsten Sekunden einen Pfeil im Rücken stecken zu haben. Das Zischen des Pfeils, der mich vorhin nur knapp verfehlt hatte, klingelte mir noch immer in den Ohren.
Da ich mich auch eher auf die Umgebung konzentrierte, fiel mir weder die Fledermaus auf, die sich noch bei Rin befand, noch wunderte ich mich großartig über das, was zuvor passiert war. Also...warum mich dieser Fledermausschwarm umkreist hatte und woher diese Tiere überhaupt gekommen waren. So ganz alltäglich war das nämlich für mich auch nicht...
Aber die ganze Situation war ja auch NICHT alltäglich!
"Erst mal weg von hier", flüsterte ich über die Schulter zu Rin, "wir geh'n zu dem Laden, in dem ich arbeite." Und dann sahen wir weiter. Ich hatte auch absolut keine Ahnung, was zu tun war, aber eines war klar: Zurück zum Baumhaus ging nicht. Diese Kerle hatten uns dort aufgelauert und selbst wenn sie wieder von dort verschwanden, war die Wahrscheinlichkeit groß, das sie zurück kommen würden. Ich meine hallo, sie hatten mich mit einem Pfeil erschießen wollen!?
"Komm, is'n gutes Stück bis dorthin." So schnell und leise es ging, huschte ich weiter über den Steg, machte einen Bogen um die Lichtkegel, die von den Steinen ausgesendet wurden und ließ meine Augen unruhig umher schweifen. Zwischendurch blieb ich stehen, um zu lauschen. Einmal meinte ich, in der Ferne hektische Schritte zu hören. Ansonsten blieb es glücklicherweise ruhig.
Der Steg schlängelte sich am Rande Cern-Yus entlang. Es war ein größerer Umweg, den wir nun nahmen, aber ich wollte auch nicht riskieren, einem unserer Verfolger in die Arme zu laufen. Außerdem gingen von dem Steg viele kleinere Pfade ab, was uns die Möglichkeit offen ließ, schnell die Richtung wechseln zu können. Ich war echt froh, das ich mir Wege schon immer gut hatte einprägen können.
Wir erreichten schließlich den kleinen Aufzug, den ich uns zum Ziel gesetzt hatte. Ich wartete, bis Rin ihn betreten hatte und folgte ihr dann, griff nach dem Seil und ließ uns so zügig wie möglich hinunter. Die Geräusche, die wir dabei versursachten, kamen mir viel lauter vor als sie wahrscheinlich waren. Trotzdem hielt ich die Luft an und war froh, als wir endlich unten ankamen.

>>> Cern-Yon

Mir war es erstmal relativ egal wohin wir gingen, Hauptsache wir waren in Sicherheit. Und Rave wusste tatsächlich einen Ort, auch wenn ich nicht ganz überzeugt davon war, dass es dort auch wirklich sicher war. Ich sagte aber nichts dazu und beeilte mich einfach, mit ihm Schritt zu halten. Die Müdigkeit von vorhin war völlig verflogen, an Schlaf war erstmal nicht zu denken.
Obwohl ich mich nicht sonderlich gut hier auskannte, merkte ich trotzdem, dass Rave nicht den direkten Weg zu einem der Aufzüge ging, und sowieso Wege wählte, die scheinbar nicht so die normalen Wege waren - jedenfalls war ich hier noch nie gewesen, soweit ich das wusste. Dieses Netzwerk an Stegen und Brücken war auch viel größer als ich gedacht hatte. Es war wirklich wie eine richtige Stadt hier oben. Aber ich würde mich trotzdem wohler fühlen, wenn ich wieder unten auf dem Boden war. Ich wusste, dass Raves Arbeit da unten lag.
Für mich war es schon etwas anstrengend, mit Rave mitzuhalten und dann auch noch so schnell zu gehen, und so lange. Aber ich beschwerte mich nicht und bemühte mich, tapfer durchzuhalten. Schließlich wusste ich, was auf dem Spiel stand. Und so zielstrebig wie Rave voranging, kam ich auch nicht auf den Gedanken, er könnte sich verlaufen haben.
Ich war aber trotzdem ziemlich froh, als wir endlich bei einem Aufzug ankamen, den er wohl auch runter nehmen wollte, wie es aussah. Ich stieg ein und hielt mich am Rand fest, um hinaus in den Wald und über die Stege hinter uns zu blicken. Sagen tat ich immer noch nichts, dafür ging mein Atem auch noch etwas zu schnell, und es war sowieso besser, leise zu sein. Ein Ziel zu haben war aber immerhin schon ein etwas besseres Gefühl...
Oh man, was jetzt? Und was wenn sie das Päckchen in meinem Bett fanden? Das hatten sie bestimmt schon gefunden.... Ich hätte es doch mitnehmen sollen...

---> auch