Wer Wind sät, wird Feuer ernten

Es war mehr als offensichtlich, was Arrow von seiner ersten Aussage hielt. Zaire machte ihm nicht unbedingt einen Vorwurf. Die Narben auf Arrows Körper waren mehr oder minder eindeutig. Zaire konnte sich denken, dass der Irada schon einiges gesehen hatte, nicht nur wegen seines körperzustands. Stattdessen hatte er auch den Eindruck, es mit einem trainierten Kämpfer zu tun zu haben, seien es Bewegungen, Disziplin oder Umgang. Vor allem aber reagierten gesunde Wesen nicht so auf ihr Umfeld, wie Arrow es tat. Er fügte zwar nichts mehr an, aber Arrows schmaler Blick wurde unbeeindruckt erwidert. Der Irada konnte sich sicher sein, dass Zaire ebenfalls mehr als genug menschliche Abgründe gesehen hatte. Vielleicht nicht so viele wie Arrow, aber mehr als genug, um den Glauben an die Menschheit einzuschränken.
Aber er beschloss, dass ihm diese Diskussion es gerade nicht wert war. Falls es überhaupt eine gab. Menschen waren scheiße. Geldgierig, pervers, wütend, grausam. Viel Raum gab es dazu nicht.
„Ich glaube, damit hast du so ziemlich alles zusammengefasst, was es ausmacht, ja.“
Zaires Antwort wurde mit einem trockenen Lächeln unterstrichen. Kein „Er“ ,kein „Sie“, ein „Es“. Mehr würde er dem Ganzen nicht geben. Irgendetwas in seinem Hinterkopf regte sich. Er dankte seiner Voraussicht, etwas zu sich genommen zu haben, und nahm einen Schluck Tee, um jegliche Reaktion darauf zu kaschieren.
Er würde es Arrow überlassen, wie weit dessen Interesse ging, entschied er, und beließ es erstmal dabei.

Zaire beobachtete, wie Arrow den Tisch aufräumte, und sein Blick verweilte am Ende auf der Teetasse, die er noch immer in den Händen hielt. Es war schwer zu sagen, wie er Arrows Reaktion bewertete, weil er sich seine Gedanken nur seltenst ansehen ließ. Allerdings respektierte er Arrows Einstellung zu der ganzen Sache. Er hatte mit etwas anderen gerechnet, aber stellte zum wiederholten Male fest, dass besagte Rechnung bei Arrow nicht aufgegangen war. In diesem Fall positiv, überraschenderweise.
„Gern.“
Er atmete leise durch, und folgte Arrow mit den Augen, und bemerkte, wie er af die Spüle starrte. Es war nicht schwer zu erraten, vor welchem Problem er gerade stand.
„Ich spüle gleich ab. Wenn ich kein Gewicht auf mein Bein lege, kann ich gut stehen.“
Er legte den Kopf schief. „Außer du siehst hier einen Stuhl, der hoch genug für die Anrichte ist, den nehme ich gern.“
Er war in mancher Hinsicht doch ein ordnungsliebender Mensch, und er hatte seit Jahren keinen festen Wohnsitz. So etwas war wertvoll. Es sollte ordentlich sein, gerade, weil es nicht seiner war. … und wenn sie nicht aufpassten, hatten sie bald kein Geschirr mehr, um leidend ihre Rationen zu sich zu nehmen.

„Mh.“
Ein einfaches, zustimmendes Brummen, auch wenn Arrow sich auf den Zusatz einen undeutbaren Blick einfing. Zaire mochte es in der Tat nicht, bevormundet zu werden, aber noch schien ihm das Ganze kein Kommentar wert zu sein. Stattdessen leerte er seine Tasse, und wünschte sich dann, er hätte es nicht getan, weil damit sein Handwärmer dahin war. Er war wirklich kein Mensch für Kälte. Er fröstelte noch immer vor sich hin, zitterte aber nicht mehr so erbärmlich krampfend wie heute Morgen. Mit etwas Glück war er einem ernsthaften Fieber damit entgangen. Wenn man seine fehlende Vorsicht von gestern bedachte, beachtlich.
Zaire musterte ihn einen Moment, und nickte dann einmal.
„Ja. Der ganze Mist kommt mit unschöner Migräne zusammen. Außerdem hilft es, die Gedanken… entwirrt zu halten.“
Er hatte mit der Weile eine sehr gute Ahnung davon, was zu ihm gehörte und was nicht. Aber allein die Erinnerung an die ersten Monate, die er so hatte leben müssen, ließen ihn frösteln. Etwas, was nichts mit der Außentemperatur zu tun hatte.
„Ich lebe schon einige Jahre damit. Man lernt seine Tricks.“
Oder probierte so lange herum, bis irgendetwas half, weil man es mochte, bei Verstand zu sein.

„Was ein Grund ist, warum ich Tempel aufsuche, richtig.“
Zaire stützte sein Kinn auf eine Faust. Sein Blick ruhte jetzt wieder auf seiner anderen hand. Er stützte einen Ellenbogen auf die Tischplatte, und mit dem Wink seiner Finger entflammten wieder Funken in seiner Hand, die sich tanzend verdichteten und eine kleine Flamme entzündeten. Klein und flackernd, gerade als Arrow mit seinem immerwährenden Windzug näher kam. Zaire ließ es gedankenverloren tanzen und springen, und das Feuer legte sich immer bewegende Schatten auf seine Züge. Auch, als Arrow seinen Leuchtstein mitbrachte, erlosch die Flamme nicht. Arrow wusste nun, dass er Karon war, Zaire sah keinen Grund, seine Fähigkeiten nicht ein wenig zu strecken. Kleine Spielereien, wie kleine Dehnübungen. Er ließ sein Flämmchen von Finger zu Finger hüpfen.
„Die Bibliothek ist vielleicht einen Versuch wert, aber ich weiß zu wenig. Ich kenne zu wenig Eckdaten.“
Zaire seufzte, und die Flamme erstarrte mit seinen Fingern, schwebte jetzt in der Luft, als wäre die Kerze, zu der sie gehörte, unsichtbar.
„Antworte nicht, wenn es dir unangenehm ist – das Thema gehört nicht zu dem Bereich, über den du gerne sprichst, das habe ich mitbekommen. Aber deine Mutter war anscheinend ein reiner Elementargeist. Kennst du ihren Aufenthaltsort, oder einen anderen, den es sich zu suchen lohnt?“
Es wirkte nicht so, als könnte Arrow ihm antworten liefern. Das war der Grund gewesen, warum Zaire überhaupt so viel ausgepackt hatte, und trotzdem nicht den Drang verspürte, so starke Drogen in Arrows Nahrung zu mischen, dass der die letzten Stunden vergessen würde. Enttäuschend war es trotzdem. Zaire schickte nicht gerne Informationen unnütz an andere Personen.

„Hm.“
Es gab keine groß emotionale Reaktion nach außen, als Zaire enttäuscht wurde. Er beobachtete einfach den tanzenden Funken in seinen Fingern, der Gesichtsausdruck abwesend.
„Die Chance war es wert“, schloss er leise, wahrscheinlich eher für sich selbst, und zuckte dann mit den Schultern. Auf Arrows Entschuldigung schnappte Zaires Blick wieder zu ihm herauf.
„Passt. Es wäre nicht das erste Mal… wobei ich Leuten ungern Informationen über mich in die Hand gebe.“
Er schloss die Finger um den Funken, und er erlosch. Zaire lehnte sich im Stuhl etwas zurück, und streckte vorsichtig, ganz langsam die Beine aus.
„Aber Mal abgesehen von meinem Mitbewohner… wie ist es, als Halbelementarwesen unter Menschen zu leben? Wobei du nur für geübte Augen wirklich nicht als Mensch durchgehst.“
Die Frage war beiläufig gestellt, und die Scharfe, alles absorbierende Neugier verschwand aus Zaires Haltung. Ersetzt wurde sie durch eine ruhigere Note, einfaches Interesse. Für ihn war klar, dass Arrow ihm nicht helfen konnte, und wenn der Irada keine Fragen stellen wollte, dann war das Thema für ihn durch. Was aber nicht hieß, dass er sich für die menschen um sich herum nicht interessierte.

„Es ist klar, dass deine Prägung eher menschlich ist. Du wirkst jedenfalls so – in der Art, wie du auf dein Umfeld reagierst.“
Zaire lehnte sich im Stuhl zurück, und starrte nachdenklich an die Decke.
„Ich meine eher die Parts, die durch einfache Sozialisierung nicht verändert wurden – trotzdem anders sind. Wobei das wahrscheinlich schwer zu erkennen ist, wenn man das nicht speziell mit anderen, vollen Menschen abgleicht.“
Seine Iriden schnappten kurz zu Arrow herüber, bevor sie wieder an die Decke wanderten.
„Und ich gehe davon aus, da du nicht mit deiner Abstammung hausieren gehst, ist das nie geschehen…? Ah, ich philosophiere nur.“
Ein Lächeln zuckte kurz über sein sein Gesicht. Er sagte es nicht, aber die Tatsache, dass er nicht weiterkam, frustrierte ihn durchaus. Jahre. Er hatte schon Jahre…
„Im Grunde: Gibt es irgendetwas, was dich von reinen Menschen unterscheidet? Egal, ob es Bedürfnisse sind, Meinungen… Instinkte?“
Er wank leicht ab. „Dass es physische Unterschiede gibt, ist klar, aber meine Frage ist, ob du in Teilen mental anders funktionierst…“
Ein leises Seufzen. „Auch wenn ich durchaus verstehe, was du mit "Wie sie, aber sie nicht wie ich“ meinst. Es ist ein seltsames Dasein. Nie ein ganzer Teil, nie ein wirklich Ausgestoßener. Du stehst zwischen zwei Welten, hm?"

Zaire ließ Arrow alle Zeit, die er brauchte, um seine Antwort zusammenzusuchen, musterte ihn nur nachdenklich. Danach schwieg er einen Moment, und verlagerte seine inneren Monologe lieber nach innen, anstatt Arrow unnötig das Gefühl zu geben, bedrängt zu werden.
Zu Teilen lag seine Art zu Fragen tatsächlich daran, dass Zaire ein analytisches Wesen war, dass Dinge gerne kategorisierte, um sie einzuordnen, rational betrachtete. Auf der anderen Seite hatte Arrow ihm klargemacht, dass er wenig Interesse an emotionalen Austausch hatte – zumindest war es so angekommen.
Trotzdem nickte der Heiler langsam.
„Eine Neigung zum Element des Windes ergibt Sinn. Ich schätze, Elementarwesen sind so eng mit der Magie unseres Landes verbunden, dass es eben örtliche Präferenzen gibt. Noch sehr viel mehr als Bändiger. … ich spüre in Teilen das Gleiche.“
Er vermisste seine Heimat, das versteckte er nicht vor sich selbst. Die Sonne, die warmen Sommer, die prachtvollen, wehrhaften Oasen an Vegetation, die sich in den östlichen Tälern sammelten, die prachtvolle Stadt aus schwarzen Stein, in denen Zaire manchmal einen Herzschlag zu spüren glaubte, wenn er eine Hand an ihn legte, die dumme Katze, Funke, die er angefüttert hatte. Kjubika war... weit weg.
Er musterte Arrow einen Moment, kurz dabei zu Evaluieren, wie er weitergehen sollte.
„Interessierst du dich dafür, ob und wie du dich von anderen Menschen unterscheidest? Das mentale, die Wahrnehmung? Ich schätze, ich kann dir dabei helfen etwas mehr darüber zu erschließen, wenn du das möchtest.“
Ein beiläufiger Tonfall, ein Angebot, dass man leicht ablehnen konnte, wenn man es nicht haben wollte.

„Ich würde gerne etwas erfahren, was du mir nicht sagen kannst.“
Zaire zuckte teilnahmslos mit den Schultern. „Du kannst mir damit nicht helfen. Damit bin ich durch, Arrow.“
Mit einem leisen Ächzen schaffte er es, den Kopf wieder in eine gerade Position zu bringen. Kopfschmerzen klopften dumpf gegen seine Schläfen, und er fühlte sie hinter seinen Augen pulsieren. In der Hoffnung, dass seine kalten Hände wenigstens einen Dienst tun könnten, legte er seine kühlen Finger auf ein geschlossenes Augenlid.
Als Arrow wieder an ihn herantrat, den Ignid in einer Hand, sah er also nur mit einem Auge auf, schüttelte umständlich einen Ärmel über seine Handfläche und ließ sich den Stein von Arrow in die Hand geben. Mit einem leisen, wohligen Seufzen schloss er die Finger um die Wärmequelle. Ja, so in ungefähr bitte am ganzen Körper. Schön wärs gewesen.
Auf der anderen Seite hatte er gerade etwas anderes vor der Nase. Er nahm die kühlen Finger vom Gesicht, und legte die Hand auch auf den Ignid. Zwei goldene Augen richteten sich auf Arrow.
„Wenn du mir nicht helfen kannst, kann ich dir wenigstens Einblicke geben.“
Er nickte nur auf Arrows Ablehnung. „Überlegs dir. Könnte eine einmalige Gelegenheit sein. Du erzählst nicht jedem von deiner Natur, und so gut wie niemand – von anderen, wirklichen Mischwesen mal abgesehen – kann es in der Art nachvollziehen wie ich. Außerdem habe ich eine Erinnerung an eine Zeit, in der ich voller normaler Mensch war, und... danach.“
Er zuckte mit den Schultern, und lehnte sich mit dem Ignid in den Händen zurück, die glühenden Augen weiter auf Arrow gerichtet. Wieder – nichts inquisitorisches, forderndes, zu neugieriges. Zaires Stimme war neutral, während er Fakten darlegte.

„Du kennst mehr von mir als um die Achtzig Prozent der Leute, denen ich begegne.“
Zaire zuckte mit den Schultern, und schloss die Augen wieder, als würde er kaum bemerken, wie Arrows Haltung auskühlte. Die Wärme in seinen Händen pulsierte. Sie schien fast zu Atmen. Zu Leben. Zaire genoss die Empfindung.
Er stieß ein leises, nachdenkliches Summen aus, als Arrow begann, sich auch mit Worten und nicht nur mit Haltung zurückzuziehen.
„Es liegt bei dir. Menschen zu verstehen ist der Weg, um mit der Welt in Kontakt zu treten. Deine Entscheidung, ob du dir das verbieten willst.“
Zaire richtete sich langsam auf, zog den Kopf ein und gähnte in seine Armbeuge. Dann zwang er sich dazu, seine Augen zu öffnen.
Wenn noch etwas Interessantes auf dem Plan gestanden hätte – beispielsweise ein Arrow, der sich nicht benahm wie eine stachelige Buschwand – würde er sich dazu hinreißen lassen, länger wach zu bleiben. Aber so? Keine Chance.
Die Müdigkeit hing schon längst an seinen Gliedern wie Steine, und er war wirklich nicht lang wach. Er tippte auf eine unschöne Mischung aus Unterkühlung, Erkältung, Ausgebranntheit, und alles, was mit Letzteren eben einherging. Mal ganz von den Blessuren abgesehen, die er sich eingefangen hatte.
Mit Widerwillen löste er eine Hand von dem Igniden, und stützte sich an der Tischplatte in die Höhe, legte kein Gewicht auf sein verletztes Bein.
„Du musst wieder arbeiten, hm? Ich werde dich nicht unnötig wachhalten“, kündigte er an. Noch immer schien er nicht auf Arrows unfreundlichere Fassade zu reagieren, als würde sie komplett an ihm abprallen.
Seufzend verlagerte er sein Gewicht, schnappe sich sein Notizbuch – das kleine, mysteriöse – und seine Schreibfeder, und würde dann in Richtung Gästezimmer hinken, ein „Gute Nacht“ auf den Lippen.
Der erste Schritt presste ein schmerzerfülltes Zischen aus seiner Kehle. Sein Knie hatte sich gerade wieder daran gewöhnt, nicht belastet zu werden, und war gar nicht amüsiert vom Gegenteil.

Zaire warf noch einen Blick zu Arrow, die Decke schon in den Armen. Seine Schreibutensilien lagen auf dem Deckenberg auf, und sein Gesichtsausdruck war unlesbar. Die uneingeschränkte Freundlichkeit fehlte, viel mehr wirkte er nachdenklich, als Arrow zunehmend abweisender wurde. Nicht traurig, nicht mitleidig, einfach nur so, als würde er… analysieren? Verstehen? Es war wirklich schwer zu sagen. Dann wandte er sich ab und verschwand mit leisen, unregelmäßigen Schritten im Gästezimmer. Die Tür fiel leise ins Schloss, und Arrow war sich selbst überlassen.
Der Heiler hatte wenige Ambitionen, seine aktuelle Tageskleidung zu verschwitzen, also setzte er sich auf die Bettkante und begann vorsichtig, mit ungelenken Bewegungen, aus Arrows Leihgaben zu schlüpfen.
Erst das Hemd. Dann mit sehr, sehr vorsichtigen Bewegungen die Hose.
Sein Knie war noch immer eine interessante Leinwand für Violett und blau, stellenweise grün. Er tastete es vorsichtig ab, und verzog den Mund. Diese Nacht würde er sich noch geben, vielleicht den morgigen Tag. Dann würde er einen Weg finden, aktiver zu werden. Und wenn nur, um diese dumme Verletzung loszuwerden.
Aber das bedeutete auch, dass er sich erstmal in Geduld üben musste.
Mit einem leisen Seufzen griff er zum Morgenmantel, und schlang ihn sich fröstelnd um. Trotz der Kühle nahm er sich die Zeit, doch noch einmal das Fenster zu öffnen, und die Nase in die Nachtluft zu halten.
Er stützte sich mit den Ellenbogen auf den Fensterrahmen, teilte sein Gewicht zwischen Oberkörper und gesunden Bein, und starrte über die beleuchteten Straßen Anans. Die Hände hatte er fest um den Igniden geschlossen, und genoss die Wärme, die von ihm in seine Handflächen abstrahlte.
Es war nicht so, als würde in Arrows Reaktion groß überraschen, nein. Allerdings meinte er das, was er gesagt hatte – mit Menschen zu interagieren war ein wichtiger Teil, um mit der Welt um sich herum in Kontakt zu treten. Dass Arrow sich das selbst verwehrte…
„Hah.“
Zaire schmunzelte schwach über sich selbst, auch, wenn seine Kiefer sich verkrampften. Er löste eine Hand vom Igniden, um sich über das Gesicht zu reiben. Nur, um einen Moment so zu verweilen, während der Herbstwind die Gardinen neben ihm bauschte.
Dann stemmte er sich von der Fensterbank hoch, schloss die Läden und zog die Vorhänge zu.

Wieder war es ruhig im Nebenzimmer, als die Sonne ihr Licht durch die Fenster des Wohnzimmers
fallen ließ. Zaire schlief, und das fest. Er hatte im Gegensatz zu Arrow keine Scheu, Schlafmittel zu benutzen, und würde auch diesmal einfach selig verschlafen, wie Arrow zur Arbeit aufbrach – falls der es denn tat.

Zaire verschlief in der Tat wieder alles, was im Wohnzimmer vorging, und Arrow entkam dem Heiler und seinen unangenehmen Worten.
Es fiel schwaches, erstes Dämmerlicht durch das Flurfenster, und legte das Treppenhaus vor Arrow in einen milden Schatten. Als Arrow die Tür öffnete, stolperte er fast über eine kleine Metalldose samt Zettel.
Faltete Arrow ihn auf, stand da in schmuckvollen geschwungenen Buchstaben ‚Für die jungen Leute, die Garantiert ein paar Kekse gebrauchen können, um ihren Kater zu füttern. (Wenn Ihr etwas herzhaftes wollt, kommt gerne und klopft)‘.
Vermutlich stand die schon seit gestern da. Und keiner von den beiden gequälten Männern hatte die Gabe gefunden. Vermutlich war es gut, dass Adelhaid das Kateressen nicht hingestellt hatte. Wenn sie Pech gehabt hätten, wäre es verdorben, oder eine Katze hätte einen überraschend guten Nachmittag gehabt.
„Einen Moment!“
Die Stimme war weiblich. Immerhin würde wohl nicht wieder Vincent die Tür aufreißen und keifen – was wahrscheinlich besser für die Nerven war.
Langsame, gemütliche Schritte schlurften über den Holzboden, und die Tür mit dem Blumenkranz daran öffnete sich. Adelaid war in ihrem schlichten, blauen Rock und einer hübschen Bluse mit weiten Ärmeln auch schon tagesfertig, wirkte hinter ihrer schmalen Brille schon munter. Der warme Geruch von frisch gebrühten Kaffee zog hinter ihr aus der Wohnung. Sie hatte sich das Haar in einen langen, Zopf gebunden, und lächelte Arrow an, als er ihn erkannte.
„Ah! Schön, dich zu sehen! Habt ihr euren Abend überlebt?“
Sie kicherte leise in sich hinein. „Und dann schon auf den Beinen. Jung müsste man wieder sein.“
Ein Zwinkern in Arrows Richtung.
„Vincent macht gleich Rührei. Möchtest du etwas?“
Sie lugte hinter Arrow in den Flur, aber er war diesmal allein. Sie erinnerte sich daran, dass die Dame und er von einem dritten im Bunde gesprochen hatten, aber weder das Mädchen noch der ominöse dritte waren zu sehen. Innerlich zuckte sie mit den Schultern, und wandte sich wieder Arrow zu.

Adelaid schien nicht wirklich erschüttert von dem Kontrastschauspiel,dass Arrow ihr bot. Es stimmte, sie hatte ihn ganz anders in Erinnerung, auf der anderen Seite wusste sie, dass er mindestens mit Spaßkraut zugedröhnt gewesen war – sie kannte den Geruch immerhin. Also bohrte sie nicht weiter, sondern lächelte, und nahm ihm das Glas aus der Hand.
„Danke, mein Junge. Vincent hatte sich schon beschwert, dass wir das nie wieder sehen würden.“
Sie schmunzelte leise, und warf einen Blick hinter sich in die Wohnung. Zum Kaffeegeruch mischte sich noch brutzelnder Speck, Muskatnuss und Eier. Die Definition eines angenehmen Morgens.
„Gerne doch. Ich will dich nicht aufhalten, aber ganz ehrlich, ich glaube, du könntest etwas Kaffee gebrauchen. Vincent?“
Sie wartete gar nicht erst ab, ob Arrow darauf reagierte. Wirkte nicht so, als würde sie ihm eine große Wahl lassen wollen.
„Der Kaffee ist durchgelaufen, oder?“
„Ja, deine Tasse steht auf dem Tisch.“
„Mach noch eine dritte fertig, ja?“
„… warum das denn?“
Adelaid lächelte verschmitzt. „Jemand braucht ihn noch dringender als du vor deiner Vorlesung. Danke~“
Ein amüsiertes, trockenes Schnaufen aus dem Wohnzimmer, aber Gläser klinkten im Hintergrund. Zufrieden wandte sich Adelaid wieder Arrow zu. „Zucker oder Milch?“

Adelaid warf einen Blick auf die Standuhr, die im Flur vor sich hin tickte.
„Du musst wohl arbeiten, hm? Aber einen Kaffee kannst du ruhig trinken. Es dauert ja nicht lange.“
Und dann machte sie auch schon Platz, um Arrow in die Wohnung zu lassen.
Adelaid roch das ‚Ich will eigentlich hierbleiben‘ wohl drei Kilometer gegen den Wind, und hatte beschlossen keinen wirklichen Gegenspruch zu akzeptieren.
„Komm ruhig rein, das geht in Ordnung“, versprach sie, und entsagte Vincent damit alles weitere Mitspracherecht.
„Wen hast du denn da aufgegabelt, Ade?“, kam es dann auch Pflichtbewusst argwöhnisch aus der Küche.
„Der Junge von Vorgestern hat dein unersetzliches Glas wieder mitgebracht.“
Adelaid schmunzelte, während sie sprach. Sie machte sich zwar eindeutig über ihren Mann lustig, aber alles an den Worten war liebevoll.
„Nah, der kanns wahrscheinlich gebrauchen.“
Das Brummen ging im brutzelnden Speck unter. Vincent hatte also entweder nichts gegen Arrows Besuch, oder er hatte keine Lust, sich mit seiner Frau anzulegen. Adelaid lächelte zufrieden, sah noch einmal zu Arrow, ging in die Wohnung und ließ die Tür offen stehen. Mehr Einladung ging wohl nicht mehr.