Taverne "Zur Morgenröte" --->
Es war noch früh am Morgen und frustrierende Nächte später, nachdem Raiu - oder vielmehr Mikaze - in Dilucs Taverne aufgetaucht war und Ookazán an der Nase herumgeführt hatte. Den Drachen wurmte ihr Auftritt und vor allem der Abgang der Frau immer noch sehr. Er hatte seitdem eigentlich durchgängig schlechte Laune, und dass die Suche nach Mikaze erfolglos im Sande verlaufen war und man sie weder gehört, noch gesehen hatte, sorgte wirklich nicht dafür, dass er genießbar war.
Die Garde, die Wachen und überhaupt jeder, der um Ookazáns schlechte Laune wusste, mieden sie, wo sie konnten. Leider war das nur dann möglich, wenn sie einem keine Befehle erteilte oder man sich grundsätzlich nicht in ihrer Nähe aufhielt.
Der morgendliche Dunst von der Bewässerung hing über dem wunderschönen und akribisch sowie auch irgendwie liebevoll gepflegten Garten. Er waberte auch schwach über dem künstlichen Wasserlauf und sorgte dafür, dass Ookazán das Gefühl hatte, Wasser einzuatmen. Der Rauch ihrer Kiseru vermischte sich mit dem feinen Nebel, als sie einen tiefen Zug daraus nahm, den Kopf etwas in den Nacken legte und ihn durch die Lippen in die Luft hinaus ausstieß. Sie verfolgte den bläulichen Qualm dabei, wie er sich mit dem grauweißen Dunst vermischte und verflüchtigte. Eigentlich mochte sie die hohe Luftfeuchtigkeit in den Morgenstunden hier nicht, wenn die Sonne begann, die Luft aufzuwärmen und das Wasser verdunsten zu lassen. Aber sie hoffte, hier ein wenig Ruhe zu genießen, bevor sie sich wieder um die Arbeit kümmerte.
Der eigene Garten ihres Anwesens hatte sie angeödet, also war sie hierher gekommen. Eine ihrer persönlichen Dienerinnen hatte ihr ein Tablett mit einer Tasse und einer Kanne Tee darauf organisiert und hatte sich zurückgezogen, um sie nicht zu stören. Es wartete noch ein Gespräch mit dem Shinnou auf Ookazán. Bisher hatte sie nicht viel Zeit gehabt, mit ihm zu reden. Sie hatte ihn bzw. den Kaiserpalast nur grob über die Ereignisse jenes Abends informiert und Kamui verkündet, später im Detail noch einmal mit ihm darüber zu sprechen. Seitdem hatte es wegen des Banketts und wegen ihrer eigenen Suche nach Mikaze noch keine Gelegenheit dazu gegeben, dieses Gespräch nachzuholen.
"Sie hat also einen Sohn...", sagte sie und der Blick aus ihren goldenen Augen hob sich zu der Dienerin, die sich mit einer einzelnen roten Chrysantheme in der Hand näherte, um sie ihr zu geben.
"Verzeihung, Milady?", fragte die Dienerin, eine Frau Ende Vierzig, mit streng zusammen- und hochgebundenem braunem Haar, das bereits grau wurde. Sie verneigte sich tief und reichte Ookazán die von ihr verlangte Blume.
Ookazán schloss die manikürten Finger mit den bemalten Nägeln um den Stängel und senkte den Arm, sodass sie von oben auf die Blüte hinabsehen konnte. "Ich habe mich gefragt, ob Blut wirklich dicker ist als Wasser."
Verunsichert trat die Frau einen Schritt zurück und schob artig die Hände auf den Rücken. "Wie meinen, Milady?"
Ihr Augenmerk zuckte hoch zu ihr. "Oh, ich denke nur laut nach, Liebchen. Ich überlege, was ich mit den Informationen anstelle, die mir jemand über sich preisgegeben hat. Kannst du dir vorstellen, dass der Sohn einer gesuchten Verbrecherin jahrelang unter meinen Augen herumgelaufen ist?"
Die Dienerin schüttelte angemessen überrascht den Kopf.
"Tja, ich auch nicht. So ein braver Junge mit so einer ungezogenen Mutter." Auf ihren Lippen bildete sich ein schmales Lächeln, das eher an Missbilligung erinnerte denn an Freude. Sie seufzte, zog erneut an der Pfeife und blies den Rauch in die Luft. Dann widmete sie sich ihrem Tee und die Dienerin zog sich erneut etwas zurück. Es war schade, dass Mikaze glaubhaft herübergebracht hatte, dass ihr nichts an Arashi lag, denn sonst hätte dieser ein gutes Druckmittel dargestellt. Das hieß, Ookazán war nicht ganz sicher, ob sie alles von dem auch wirklich glaubte, was Mikaze behauptet hatte, doch... Es gab keinen Anhaltspunkt für etwas anderes, also würde sie nicht ihre Zeit darauf verschwenden, ihn suchen zu lassen.
Es musste einen anderen Weg geben, das Windwesen zu schnappen. Es hatte in der Stadt nichts angestellt, aber ihre Überfälle von vor zwei Jahren waren nicht vergeben und vergessen. Noch lange nicht.
Eine halbe Stunde verging, in welcher sie den Tee leerte, zuende rauchte und schließlich wieder die Blüte unter ihrer Nase betrachtete.
"Das dürfte interessant werden."
Eine Flamme leckte über ihre Finger den Stiel hinauf und verzehrte die Blüte, deren Blätter sich kräuselten und schließlich schwarz wurden. Am Ende blieb nur Asche übrig, welche der Drache sich von dem Kimono herunterfegte, als er sich erhob. Ookazán blies den Ruß von ihren Fingern, trat von der Bank weg und verschwand in Richtung Ausgang.
---> Anwesen von Diluc